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            <p>Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; I/J in Fraktur: nicht übernommen; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: nicht dokumentiert; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;</p>
            
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            <p> <lb/>Andere, ſtellten ihre Behauptung auf, weil ſie<lb/>ſelbſt nur von Bauern-Adel, der Freiherr aber<lb/>von Herren-Adel ſeien! Doch war hier ein Adel<lb/>ſo alt als der andere; die Bauern zogen, wie der<lb/>Rittergutsbeſitzer, ihre Zehnten, ſie hatten, wie er,<lb/>ein Wappen, ihr gutes, altes Hauszeichen, und<lb/>einer derſelben führte noch das „von“, das die<lb/>anderen beiden Familien, obwohl ſie es hätten<lb/>beibehalten können, zur Mitte oder zu Ende des<lb/>vorigen Jahrhunderts aufgaben. Die Vorfahren<lb/>der Bauern aber gingen bei den Vorfahren des<lb/>Barons bis auf die jetzige Generation zu Lehen<lb/>und hatten die Verpflichtung ſich ihm – falls er<lb/>es verlangte – mit Mann und Roß zu ſtellen.<lb/>Wenn die Bauernſtellen auf einen Erben, bei<lb/>Todesfällen, übergingen, oder wenn dieſer ſich<lb/>verheirathete, mußte dem Lehnsherrn ein beſtimm-<lb/>tes Mutgeld gezahlt werden, umgekehrt aber hatte<lb/>der Gutsherr das Recht, wenn er ſeinen Beſitz<lb/>antrat oder ſich vermählte, wiederum „muten“ zu<lb/>laſſen! – Aber der Freiherr hatte, außer den<lb/>wenigen Mariengroſchen – oder Stübern – vor<lb/>dreißig Jahren, als ſein Vater zu ſeinen Vätern<lb/>heim ging, nichts verlangt; er verlangte überhaupt<lb/>nichts von anderen Leuten und ſchien kaum eine<lb/>
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            <p> <lb/>paſſende Verwendung für Das zu finden, was er<lb/>ſelbſt beſaß, obwohl ſeine Namensvettern am Hofe,<lb/>in den Garniſonen des Landes, oder in den Ge-<lb/>richtsſtuben, wo ſie ihre Actenſtöße aufhäuften,<lb/>ſein Vermögen nur als ein „anſtändiges“ bezeich-<lb/>neten. Der Anſtand des freiherrlich Schlump'-<lb/>ſchen Vermögens war zwar bis jetzt, Dank dem<lb/>einfach patriarchaliſchen Gewohnheiten ihres Be-<lb/>ſitzers, noch im Wachſen, drohte aber demnächſt,<lb/>wenn der Baron die Erde verlaſſen ſollte, ſehr<lb/>beeinträchtigt zu werden, denn der charakterloſe<lb/>Hageſtolz hatte einen ganzen Schwarm erbluſtiger<lb/>Angehörige, die Alles an ſich zu reißen verſpra-<lb/>chen, was nur irgend von dem unbedeutenden<lb/>Lehensarrondiſſement zu trennen ſei.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Hauptgegner des Freiherrn war der Bauer<lb/>Hermanton von Tangen, obwohl ſeine feindliche<lb/>Geſinnung ſich gewöhnlich nicht weiter, als auf<lb/>eine ſchweigende, wenn auch ausdauernde Rivalität<lb/>ausdehnte, die der Freiherr indeß gar nicht be-<lb/>merkte, welcher Umſtand Hermanton in ſeiner<lb/>Meinung beſtärkte, der Freiherr ſei charakterlos<lb/>und bekümmere ſich um die Welt ſo wenig als<lb/>ein Kind. Während Casper von Schlump in<lb/>einer ſo echten Rococo-Einrichtung lebte, daß der<lb/>
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            <p> <lb/>geübteſte Kenner dieſelbe nicht in reinerm Ge-<lb/>ſchmack herſtellen konnte, denn ſie war nicht etwa<lb/>hierher verpflanzt, ſondern einſt, als etwas ganz<lb/>Modernes, in denſelben Räumen, an demſelben<lb/>Fleck zuſammen geſtellt und daſelbſt verblieben,<lb/>woſelbſt Fremde das alte Gerumpel abſcheulich<lb/>fanden, bis daſſelbe ſchließlich wieder in die Mode<lb/>kam und bewundert ward – während alſo Casper<lb/>von Schlump in ſeiner Backſteinburg von ſchlam-<lb/>migen, froſchreichen Gräben umgeben, jedwede<lb/>Veränderung ſorgſam vermied, hatte ſich der Bauer<lb/>von Tangen ein großes neues Haus, mit breiten,<lb/>modernen Fenſterſcheiben aufgebaut, die nicht wenig<lb/>mit den kleinen, wettergetrübten Gläſern in den<lb/>ächzenden Schiebfenſtern der Burg contraſtirten.<lb/>Der Freiherr verbeſſerte nie Etwas in ſeinem<lb/>ökonomiſchen Betriebe, auch ſein Vater und Groß-<lb/>vater hatten das nie gethan – der Bauer ſchaffte<lb/>ſich eine Dreſchmaſchine und patentirte Pflüge an,<lb/>ſeine Kühe waren ſo in den Ställen untergebracht,<lb/>wie es im benachbarten Oſt- und Weſtfriesland<lb/>Gebrauch iſt, d. h. ſie ſtanden auf reinlichen Holz-<lb/>planken mit den Köpfen gegen die Mauer, indeß<lb/>das Rindvieh in den düſteren, alten Ställen zu<lb/>Dalbrook auf dem Dünger angekettet ward und<lb/>
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            <p> <lb/>dummdreiſt auf die ausgetretene Lehmtenne hinaus<lb/>ſtarrte. Der Bauer baute auf ſeinen Aeckern, je<lb/>nachdem dieſelben hoch oder niedrig lagen, Lu-<lb/>pinen, Runkelrüben, Spörgel und Klee – außer<lb/>dem gewöhnlichen Korn, Erdäpfeln u. ſ. w.; er<lb/>kalkte den leichten und grobſandigen Boden, der<lb/>die Ems, bis ſie in das fette Marſchland tritt,<lb/>umgiebt und zog Felderbſen; er legte eine Ziegelei<lb/>an und grub fleißig nach Mergel. Seine Töchter<lb/>hatten neben den großen Fenſtern – an das Wohn-<lb/>haus ſchloß ſich das breite prunkendrothe Dach<lb/>der Scheune, die auf dem Ackerhofe endete – ein<lb/>Gärtchen angelegt, dieſe Fenſter ſelbſt waren mit<lb/>lebhaft geblümten Gardinen verhangen. Der ziem-<lb/>lich große Blumengarten des Edelhofes zeigte nicht,<lb/>gleich jenen der Tangen'ſchen Töchter, Roſen, Re-<lb/>ſeda, Naſturzien, Tulpen und Levkoyen – nein,<lb/>es blühte dort ein mattes, hochſtämmiges, über-<lb/>lebtes Geſchlecht von uralten Zierpflanzen, deren<lb/>Stengel immer länger, deren Blüthen immer kleiner<lb/>und unſcheinbarer wurden. Die hohen Hecken,<lb/>welche die Spazierwege – die meiſten waren ſo-<lb/>gar Fahrwege! einfaßten, waren nicht gerade mit<lb/>lobenswerthem Verſtändniß zugeſtutzt! Die Ohren<lb/>des Taxus-Haſen reichten dem ihn an der andern<lb/>
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            <p> <lb/>Ecke verfolgenden Taxusjäger wenigſtens bis an<lb/>die Ellbogen, und der Pfau, welcher den Vor-<lb/>ſprung der grünen Mauer beherrſchte, breitete<lb/>einen grünen Schweif von wahrhaft überwäl-<lb/>tigender Größe aus. Die an dieſen Ziergarten<lb/>grenzenden Gemüſefelder boten in ihren Producten<lb/>wenig Abwechſelung. Da war der hochſtämmige<lb/>Braunkohl, da gab es gelbe und weiße Rüben, eine<lb/>verwilderte Colonie von Suppenkräutern und ein<lb/>dünnes Contingent ausgearteter Artiſchocken, deren<lb/>Genuß weit mehr eigenthümlich als angenehm war,<lb/>denn ſie hatten die ganze norddeutſche Rauhheit<lb/>vor ihren wohlſchmeckenden italieniſchen Stammes-<lb/>genoſſen voraus.<lb/>
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            <p> <lb/>Wenn der Bauer von Tangen auf dem Fuß-<lb/>pfade neben dieſen Gärten herging, an die ſich<lb/>noch ein Gehölz mit Alleen ſchloß, die einen Stern<lb/>bildeten, ſo blieb er jedes Mal ſtehen, blickte durch<lb/>die Hagebuchenwand, die einen Reitweg begrenzte,<lb/>der ſich um die ganze Anlage zog, und ſagte: „Er<lb/>iſt wie ein Kind, er hat keinen Charakter.“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Freiherr las eine Zeitung von außer-<lb/>ordentlich milden Grundſätzen, faſt mehr wie<lb/>„poſitive Rechte“, es ſtreifte ſchon an den Super-<lb/>lativ ! Der Bauer ließ ſich ſeine Politik von<lb/>
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            <p> <lb/>Weſer und Rhein ſchicken. Obwohl es im Grunde<lb/>ſeinen perſönlichen, ſo wie dem vorſichtigen und<lb/>ſchwerfälligen Charakter ſeiner Heimat wider-<lb/>ſtrebte, neigte er ſich – aus reinem Widerſpruch<lb/>gegen die Geſinnungen des Freiherrn – zur<lb/>Fortſchrittspartei! – In den Gemeindeverſamm-<lb/>lungen und Berathungen, zu welchen der Schall<lb/>einer lebensmüden Trommel rief, wäre es bei<lb/>Tangen’s Animoſität gewiß ſchon zu unerquick-<lb/>lichen Erörterungen gekommen, wenn der Baron<lb/>Charakter gehabt hätte, aber den hatte er ja nicht;<lb/>als der Bauer z. B. mitten in der Ernte auf eine<lb/>Wegebeſſerung von Seiten der Gemeinde antrug,<lb/>weil der Edelmann kurz zuvor geäußert hatte, dieſe<lb/>Arbeiten müßten im Frühling oder Herbſte ge-<lb/>ſchehen, entgegnete der charakterloſe Herr gemüth-<lb/>lich: „Nun gut, wenn Eure Pferde und Dienſt-<lb/>boten Zeit haben zur Wegarbeit – die meinen<lb/>haben ſie! –“ und er hatte Recht, denn der Bauer<lb/>hatte viel mehr Ackerbau und viel weniger Geſinde,<lb/>indeß der Bauer behielt ſeinen Willen. Der Bauer<lb/>Tangen und ſeine beiden Freunde und Standes-<lb/>genoſſen wurden im Kirchſpiel meiſt kurzweg „die<lb/>Großen“ genannt. Sie würden ſich, trotz der<lb/>freiſinnigen Anſchauungsweiſe, im öffentlichen<lb/>
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            <p> <lb/>Leben noch mehr abgeſondert haben, als ſie es<lb/>thaten, wenn ſie nicht eben drei geweſen wären,<lb/>wie Tangen meinte, einer zu viel oder einer zu<lb/>wenig. Spielten Tangen und Wiebrink Abends<lb/>im Wirthshaus Dreikart, ſo ſaß Twicker unbe-<lb/>ſchäftigt da, wollten alle drei ein Partiechen Solo<lb/>oder Haſſen machen, ſo fehlte der vierte Mann.<lb/>Twicker, der Schuldner des Freiherrn, war der<lb/>kleinſte unter den Großen, er hatte blondes Haar,<lb/>und jene überwiegend große Naſe, die das An-<lb/>ſehen von tiefem Ernſt giebt, weil jedes andere<lb/>Mienenſpiel durch dieſelbe in Schatten geſtellt wird.<lb/>Tangen, der gern Spitznamen austheilte, nannte<lb/>den geduldigen Mann „den Steifen“; alle Mühe,<lb/>ihn aus ſeinem gewohnten Ideengang hinaus zu<lb/>drängen, war ſeit etwa achtzehn Jahren geſcheitert.<lb/>Wiebrink mußte in ſeiner Jugend, jetzt war er<lb/>ein angehender Fünfziger, auf dem Eiſe oder ſonſt<lb/>wo einen furchtbaren Fall gethan haben, ſonſt hätte<lb/>ſein breites Geſicht mit den braunen, glitzernden<lb/>Augen nicht ſo flach ſein können; freilich das<lb/>Stümpfchen Naſe hatte den großen, mit wulſtigen<lb/>Lippen gezierten Mund geſchützt, derſelbe war kräf-<lb/>tig, ja mehr als kräftig entwickelt. Wiebrink hieß<lb/>der „Pfifficus“. Er begriff, was Tangen wollte, er<lb/>
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            <p> <lb/>widerſprach ihm ſelten, aber nie that er Etwas,<lb/>das ihn aus dem vorgezeichneten Geleiſe ſeiner<lb/>Lebensziele gebracht hätte. Er war der echte, vor-<lb/>ſichtige, thätige und ſparſame Bauer Norddeutſch-<lb/>lands, aber der bewegliche, rechthaberiſche und wohl-<lb/>redende von Tangen hatte doch im Lauf der Zeit<lb/>des Gefährten dickes Fell ein wenig geſchmeidiger<lb/>gemacht, das roſtige und täppiſche Räderwerk ſeiner<lb/>Intelligenz etwas geölt, ſo daß er ſich Tangens<lb/>Verbeſſerungen und Neuerungen ſtets mit Intereſſe<lb/>anſah und nachmachte, was ihm zweckmäßig ſchien.<lb/>Hatte es auch den Anſchein: Tangen leite Wiebrink,<lb/>ſo holte in der That der Großprahler und Beſſer-<lb/>wiſſer dem ruhigen und gemüthlichen Pfifficus die<lb/>Kaſtanien aus der Aſche. Von äußerm Anſehen<lb/>war Tangen der Herr, Wiebrink der behäbige<lb/>Bauer, Twicker eine hagere Geſtalt mit dicken<lb/>bäuerlichen Kleidern behangen. Tangen war der<lb/>Kleinſte und Corpulenteſte, ſeine Naſenſpitze ſchien<lb/>der Endpunkt eines Dreiecks, von der Seite ge-<lb/>ſehen, zu ſein, was ihm ein äußerſt liſtiges, neu-<lb/>gieriges und iltishaftes Ausſehen gab; ſein dunk-<lb/>les Haar war ſtark ergraut, aber nicht gleichmäßig,<lb/>ſondern ſo, daß weiße und dunkle Strähne durch<lb/>einander lagen, als wären ihm weiße Flocken an-<lb/>
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            <p> <lb/>geweht, ſeine dicken Augenbogen liefen zuſammen<lb/>über der Naſe, ſein ſtets raſirter Bart bildete ein<lb/>bläuliches Feld um die ſchmalen Lippen des Mun-<lb/>des, der einem vornehmen Manne als Typus der<lb/>Ariſtokratie gegolten haben würde, ſo gut und<lb/>fein war er geſchnitten – und des Bauers Hände<lb/>waren weißer, als die eines Landwirths ſein ſoll-<lb/>ten. Twicker war der Größte und Dümmſte. Der<lb/>Knochenbau Wiebring’s ließ vermuthen, daß ein<lb/>Stier, deſſen Hörner in ſeinen Fäuſten waren, in<lb/>ihm ſeinen Herrn und Meiſter, was die Kraft<lb/>anlangt, erkannt hätte! Wegen des ſchon bezeich-<lb/>neten Uebelſtandes, den die Dreizahl mit ſich brachte,<lb/>ſaßen die Großen alſo eines Abends an ihrem be-<lb/>ſonderen Tiſche in der geräumigen, mit Back-<lb/>ſteinen gepflaſterten Küche des Dorfwirthshauſes<lb/>und wußten nicht, was beginnen. Eine Unterhal-<lb/>tung und Ideenaustauſch vor den profanen Ohren<lb/>anderer Gäſte, die mehr oder weniger „geringe<lb/>Leute“ waren, ſchien am wenigſten ſtatthaft; der<lb/>Vicar, manchmal der vierte Mann beim Spiel,<lb/>war nicht erſchienen, ſo hatte man die Wahl<lb/>zwiſchen zwei anderen Individuen, die beide in<lb/>Röcken, als Ausnahme des kurzen bäuerlichen<lb/>Wamſes, zugegen waren.<lb/>
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            <p> <lb/>„Laß doch den Studenten mitſpielen,“ wandte<lb/>ſich Twicker an Tangen, ſeine qualmende kurze<lb/>Pfeife zwiſchen die Zähne beißend, „der Student<lb/>iſt ein ſchnackiſcher alter Junge und ſpielt ver-<lb/>teufelt gut!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Bah, der Student!“ machte Tangen verächt-<lb/>lich. „Ein Kerl, der Alles, was er hat, auf dem<lb/>Leibe trägt, der nicht ſo viel gelernt hat, daß er<lb/>Schäfer werden könnte, das hört ſich nicht für uns<lb/>Leute mit ſolchem Schlag zu ſpielen; aber wenn<lb/>Du nur Deinen ſchlechten Tabak haſt und Dir<lb/>Jemand Geckheiten vorſchnackt, dann haſt Du Dein<lb/>Aventür und biſt zufrieden!“<lb/>
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            <p> <lb/>Twicker ſchwieg verdutzt und Wiebrink nahm<lb/>(wie die beiden Gefährten in plattdeutſcher Mund-<lb/>art redend) das Wort: „Aber der Wirth, der<lb/>junge Burſch, iſt zu Allem zu gebrauchen, in zehn<lb/>Jahren, darauf wette ich, iſt er ſo reich, daß er<lb/>nicht mehr zu warten braucht, ob wir ihn an un-<lb/>ſern Tiſch nöthigen, wir wollen mit dem Wirth<lb/>ſpielen!“<lb/>
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            <p> <lb/>Tangen warf einen namenlos hochmüthigen<lb/>Blick auf den Kaufladen, der im Emslande ſtets<lb/>eine Ecke der Wirthsküche einnimmt und deshalb<lb/>auch „Winkel“ genannt wird; doch eigentlich galt<lb/>
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            <p> <lb/>der Blick nicht dieſer Einrichtung, ſondern mehr<lb/>dem, auf einer Leiter ſtehenden, ſchlanken und gut<lb/>ausſehenden jungen Mann, der eben die Qualität<lb/>eines ſchwarzen Tuchſtückes, das er herablangte,<lb/>einem Käufer anpries, welcher ſich einen „lakenen“<lb/>Rock zu kaufen dachte.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich mag ſein Geld nicht in der Taſche haben!“<lb/>ſagte Tangen und fuhr mit beiden Händen, wie<lb/>um ſie bildlich zu verſchließen, in die eigenen<lb/>Taſchen.<lb/>
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            <p> <lb/>„So?“ ließ ſich eine branntweinrauhe Stimme<lb/>vernehmen, „Ihr wollt ſein Geld nicht?“ Es war<lb/>der Student, ein ältlicher und höchſt verkommener<lb/>Nichtsthuer, der auf Gemeindeunkoſten lebte, für<lb/>den Vorſteher oder Schulzen ſchrieb, in der Jagd-<lb/>zeit einen bedeutenden Wildhandel mit dem, was<lb/>er ſelbſt ſchoß, in Schlingen fing oder aufkaufte,<lb/>trieb – in allen Fiſchereien ungenirt fiſchte und<lb/>auf Bieren und Hochzeiten die erſte Violine ſtrich.<lb/>Alles dies führte er mit großer Virtuoſität aus,<lb/>denn er war von Natur mit den reichſten Anlagen<lb/>ausgeſtattet, und wenn man ihn nicht geradezu als<lb/>Bettler behandelte, der er doch war, ſo mochte das<lb/>dunkle Bewußtſein ſeiner Genialität dazu beitragen,<lb/>ihn zu dulden.<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein,“ entgegnete Tangen beſtimmt, „ich<lb/>will ſein Geld nicht; er beſäße keines, wenn nicht<lb/>ſein Vater einen unehrlichen Bankerott gemacht<lb/>hätte!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Hm,“ machte der Student, und fuhr durch<lb/>ſein dürres, verwildertes Haar, „er aber iſt auf<lb/>beſtem Wege Euer ehrliches Geld in ſeine Taſche<lb/>zu bringen, ein ſolches altes Bauerngeld hilft den<lb/>Kupferpfennigen, die er für einen Klaren oder<lb/>Bittern einſtreicht, zu ihrem Glanz, als kämen ſie<lb/>eben aus der Präge!“<lb/>
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            <p> <lb/>Tangen verſtand anſcheinend die klare und<lb/>bittere Andeutung nicht: „Was ich verzehre iſt mit<lb/>Silber zu bezahlen!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student ſpie in die Aſche und erklärte:<lb/>„Er aber denkt an rothes Geld, an rothe Wangen,<lb/>rothe Lippen und – wie ich ſehe, Ihr verſteht<lb/>ſchon, Bauer von Tangen ! Husmann de wull en<lb/>Junker weren, un ſin blanke Geld vertheren,“<lb/>ſang er, einer alten Volksweiſe folgend, vor ſich hin.<lb/>
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            <p> <lb/>Vielleicht machte Tangen die Fauſt im Sack,<lb/>er entgegnete aber würdevoll: „Wenn Du von<lb/>meinen Töchtern reden wollteſt, ſo ſind ſie von<lb/>meiner Art und wiſſen, was ſich gehört, und wenn<lb/>ſie es nicht wüßten, Student, ſo habe ich Charakter<lb/>
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            <p> <lb/>genug es ihnen zu ſagen. Es giebt Leute von<lb/>Herren-Adel, die ſich freuen ſollten, halb ſo viel<lb/>Charakter zu haben, als unſer Eins!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, ja,“ murmelte der Student, „wartet ein-<lb/>mal, Bauer von Tangen, giebt es nicht ein altes<lb/>Sprichwort über die Art von Tangen,“ er ſah<lb/>dem Bauer voll in's Geſicht, „wartet mal: De Ehr<lb/>un Art von Tangen, ſall nich an grieſe Haare<lb/>hangen!“<lb/>
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            <p> <lb/>Ein ſonderbares Zucken und Zuſammenfalten<lb/>der dicken Augenbrauen zeigte ſich auf dem Ge-<lb/>ſicht des charaktervollen Grundbeſitzers: „Nun ja,“<lb/>ſagte er dann, „meine Art hängt nicht an grauen<lb/>Haaren, ich habe einen Sohn, einen Erben!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, den habt Ihr,“ ſagte der Student, „ein<lb/>lieber Junge, aber fein und ſchwächlich, kam er<lb/>nicht ſchon in ſeinem zweiten Jahre in ein Bad?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Dahin kam er,“ ſagte von Tangen mit Nach-<lb/>druck, „damit das unwiſſende Volk hier lernt,<lb/>was es heißt mit den Bädern ! die Doctors und<lb/>die alten Weiber ſagten: „Er muß ſterben!“ Ich<lb/>ſagte: „Er muß nicht ſterben, ich muß meinen<lb/>Anerben behalten! – und er iſt da! Seine Mut-<lb/>ter ſtarb bei ſeiner Geburt, aber die Art von Tan-<lb/>gen ſtirbt nicht aus!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Bauer zog die Hand aus der Taſche und<lb/>fuhr mit ſeinem rothen Sacktuch einige Mal leb-<lb/>haft über ſeine ſchmale, zurückliegende Stirn.<lb/>
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            <p> <lb/>„Was hat der Bettler hier zu fragen, in Dinge,<lb/>die nicht ſeine Sachen ſind ?“ rief Wiebrink ſo<lb/>laut, daß alle Anweſenden ſich umſchauten, indem<lb/>er ſeine mächtigen Fäuſte, gleichſam zur allgemei-<lb/>nen Beſichtigung, vor ſich auf den Tiſch legte:<lb/>„Vergiß nicht, wen Du vor Dir haſt, durſtiger<lb/>Tagedieb!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student ſchien mehr auf die Fäuſte als<lb/>die Worte des Großen Rückſicht zu nehmen: „Ho<lb/>Bauer,“ ſagte er, „Nichts vor ungut, die Bettler<lb/>ſind die eigentlichen Freiherrn in der Welt, man<lb/>kann ſie nicht von Haus und Hof vertreiben und<lb/>nicht in Brüchten ſchlagen, ſie dürfen immerhin ein<lb/>Glas über den Durſt trinken und ein Wörtchen<lb/>über die Klugheit hinaus reden; Topp, Bauer!<lb/>Ihr laßt mir einen auf den Schrecken ſetzen. Gaſt-<lb/>wirth, Kaufmann, Rolf Poppe, bringt mal die<lb/>Flaſche da mit dem Cognac, der große Wiebrink<lb/>zahlt's, unſere dicken Bauern ſollen leben!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Dick“ heißt hier nämlich wie „groß“ ſo viel<lb/>als reich und angeſehen und die Bezeichnung<lb/>„Dickthun“ iſt eine gäng und gäbe.<lb/>
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            <p> <lb/>„Gaudieb!“ ſagte Wiebrink ſchmunzelnd und<lb/>warf klingend einige kleine Münzen dem Studenten<lb/>über den Tiſch hinüber zu, der dieſelben behaglich<lb/>zuſammenſtrich: „Gaudieb, Du weißt es, daß ich<lb/>lieber mit einem Bullen als mit einem Zaunigel<lb/>ſtreite!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Und Ihr wißt, Bauer,“ ſagte der Student,<lb/>„daß ich Euch lieber die Stiefel mit Thran ſchmiere,<lb/>als mir von Euch den Rock ausklopfen laſſe!“<lb/>Als Wiebrink dem Studenten ſeine kleinen Münzen<lb/>hinwarf, hatte von Tangen unwillkürlich nach<lb/>einem Thalerſtück in ſeiner Taſche gefaßt, als er<lb/>ſich aber von Twicker beobachtet ſah, ließ er es<lb/>wieder los und bemühte ſich, ſeine gewöhnliche<lb/>ſelbſtbewußte Miene wieder anzunehmen. Der<lb/>Student blinzelte ſiegesfroh zu ihm hinüber und<lb/>murmelte, „de Ehr un Art von Tangen ſoll nich<lb/>an grieſe – –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Du rauchſt einen abſcheulichen Tabak, Twicker,“<lb/>ſagte Tangen laut und heftig, wie Jemand, der<lb/>ſich nicht mehr halten kann, „ich begreife über-<lb/>haupt nicht, wie ein feſter Bauer rauchen mag,<lb/>jeder Handwerksburſch hat ſeinen Stummel im<lb/>Munde!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Sogar jeder Baron !“ ergänzte der Student<lb/>
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            <p> <lb/>und ſchmatzte im angenehmen Nachgeſchmack ſeines<lb/>Cognac.<lb/>
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            <p> <lb/>„Der weiß überhaupt Nichts von der Welt!“<lb/>griff Tangen die Anſpielung auf, „ſitzt daheim<lb/>ohne Frau und Kind, legt ſein Geld in den Kaſten<lb/>– ich ſage, er hat keinen Charakter!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Das iſt was Anders,“ erklärte der Bauer, ſich<lb/>bewußt aufrichtend, „ganz was Anders! Ich war<lb/>nicht Erbe, ſondern Onkel im Hauſe, bei uns ver-<lb/>mögenden Leuten gehört ſich's nicht anders, als<lb/>daß die Oehmen und Möhen, von Vaters Seite<lb/>die Geſchwiſter, nicht von dem Hof heirathen,<lb/>ſondern für das Fortkommen des Grundbeſitzes<lb/>ſorgen und nach ihrem Tode ihr Geld im Hauſe<lb/>laſſen. Wäre mein Bruder und ſeine Jungens<lb/>nicht am Nervenfieber geſtorben, ich wäre noch<lb/>heute Haus-Oehmen und auf meiner Bauernſtelle<lb/>ginge es nach dem alten Schlender, wie auf dem<lb/>Edelhofe bei – –“<lb/>
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            <p> <lb/>Zum Glück wußte Jeder, was er meinte; ſagen<lb/>konnte er es nicht, denn draußen vor dem Wirths-<lb/>hauſe hielt ein leichtes Fuhrwerk und aus dem-<lb/>
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            <p> <lb/>ſelben ſtieg ein junger eleganter und vornehm<lb/>ausſehender Herr, der ſofort in die Küche des<lb/>Gebäudes trat, wo der herbſtliche Sonntag-Nach-<lb/>mittag die Stammgäſte verſammelt hatte.<lb/>
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            <p> <lb/>„Herr Baron,“ empfing ihn der Wirth Rolf<lb/>Poppe und ſtäubte eilfertig einen Stuhl ab, den<lb/>er an’s Feuer ſtellte, „es wird ſchon friſch draußen,<lb/>Herr Baron, bitte, hier iſt es warm!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich danke,“ entgegnete der Baron herablaſſend,<lb/>muſterte mit gnädigem Gruß die Großen und<lb/>runzelte beim Anblick ſeines vis-à-vis, des Studen-<lb/>ten, mißtrauiſch die Augenbrauen, „alſo Sie ken-<lb/>nen mich noch, Poppe? Es iſt eine Zeit lang her,<lb/>ſeit ich hier war, damals war ich noch Schüler<lb/>– ah, von Tangen, wie ich ſehe – lebt Ihr noch<lb/>immer mit meinem braven Onkel in Meinungs-<lb/>verſchiedenheit? Und Wiebrink und – –“<lb/>
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            <p> <lb/>grob und erwiederte die mißliebigen Blicke des<lb/>Barons, „natürlich, wenn Sie wirklich ſein Neffe<lb/>ſind, müſſen Sie wiſſen, daß er immer zu<lb/>Haus iſt!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Baron antwortete nicht, er ſchien die Ab-<lb/>ſicht zu haben, ſich bei den Großen populär zu<lb/>machen und ließ eine Flaſche Wein kommen, aus<lb/>der er heldenmüthig, in Anbetracht der Qualität,<lb/>den Bauern zutrank. Der Student hatte ſeine<lb/>letzte Münze auf den Schenktiſch gelegt, ver-<lb/>ließ das Wirthshaus und eilte auf einem Fuß-<lb/>pfade dahin, der durch Kartoffelfelder und Wieſen<lb/>an dem Sternbuſch entlang zur Burg führte. Er<lb/>rieb ſich ſeine großen Hände und ſchmunzelte leiſe<lb/>vor ſich hin: „Gut, gut, ſchneidet einander freund-<lb/>liche Geſichter und vergiftet Euch an Poppe's St.<lb/>Julien, blaſt Euch gegeneinander auf, um Euch zu<lb/>überliſten, je ſchlauer Ihr ſeid, deſto eher faſſe ich<lb/>Euch; ich weiß, wie man Euch kitzeln muß, ohne<lb/>daß Ihr's merkt in Eurem gottverdammten Hoch-<lb/>muth! Es iſt ſchwer, verflucht ſchwer, klug und<lb/>ehrlich zu ſein, ich bin ein Lump, aber doch ehr-<lb/>lich; ich werde der göttlichen Gerechtigkeit nur ein<lb/>wenig auf die Sprünge helfen – he, alter Lucas“<lb/>– rief er einen bäuriſchen Greis an, „ich muß<lb/>
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            <p> <lb/>ſogleich Deinen Herrn ſprechen, Kammerdiener,<lb/>wo find' ich ihn?“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Diener deutete mit dem Daumen auf die<lb/>Fenſter rechts in der Burg zu ebner Erde und<lb/>der Student ging weiter über die alte ſteinerne<lb/>Brücke, die in einem Bohlenſtück, zum Aufziehen,<lb/>endete, dann auf den grasbewachſenen Hof, endlich<lb/>die Stufen empor zum Gebäude und durch die ge-<lb/>ſchnitzte und verwitterte Thür, über den mit eini-<lb/>gen alten Rüſtungen und Waffen geſchmückten<lb/>Vorplatz, deſſen gemalte Wände Jagdſcenen dar-<lb/>ſtellten, nach dem bezeichneten Raume, wo er,<lb/>gegen ſeine Gewohnheit, rückſichtsvoll anklopfte<lb/>und auf ein ruhiges: Herein! von drinnen in das<lb/>Zimmer trat. Wir bemerkten bereits, daß auf<lb/>Dalbrook Alles alt war und Alles beim Alten<lb/>blieb, inſofern es nicht noch älter wurde. Das<lb/>Wohnzimmer des Barons hatte, bis auf halbe<lb/>Manneshöhe, eine dunkle Boiſerie, die Wand<lb/>oberhalb war in Felder getheilt und zeigte gut er-<lb/>haltene Gobelin-Darſtellungen – aus dem Don<lb/>Quixote! Wie amüſant dieſelben beim erſten An-<lb/>blick ſein mochten, erſchienen ſie beinah grauſig,<lb/>wenn man ſich vorſtellte, der Bewohner dieſes<lb/>Zimmers habe dieſelben täglich ſeit mehr denn<lb/>
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            <p> <lb/>fünfzig Jahren anſehen müſſen; es überraſchte<lb/>"kaum mehr, den Freiherrn einen Sonderling nen-<lb/>nen zu hören, wenn man erwog, daß ſein Haupt-<lb/>augenmerk von dem Momente ſeines früheſten<lb/>Bewußtſeins auf den Ritter von la Mancha und<lb/>Sancho Panſa gerichtet ward. Nur zögernd würde<lb/>es der Fremde wagen, von dieſer Idee erfaßt, den<lb/>Mann in's Auge zu faſſen, der im hochlehnigen<lb/>Seſſel neben dem Kamin, das mit werthvoller<lb/>Marmoreinfaſſung geſchmückt iſt, ſitzt; über dieſem<lb/>Kamin hängt ein geſchnitzter, ſelbſt jetzt noch in<lb/>gleichmäßiger Vergoldung erhaltener Ovalſpiegel,<lb/>der das Entzücken kunſtſinniger Antiquare bilden<lb/>würde. Der Baron erhob ſich nicht beim Anblick<lb/>des Studenten, ſeine graublauen Augen, die von<lb/>rundem Schnitt und langſam gelaſſenen Blick<lb/>waren, gaben aber auch kein Zeichen, daß ihm der<lb/>Beſuch des dreiſten Mannes unangenehm ſei.<lb/>Selbſt im Sitzen erkannte man, daß der Baron<lb/>über mittlerer Größe ſei, mehr zäh und ſehnig,<lb/>als von ſtarkem Körperbau; ſeine Schultern wa-<lb/>ren ſchmal, auch ſein Kopf ſchien etwas an den<lb/>Seiten zuſammengedrückt; er ſah nicht jung, aber<lb/>keineswegs greiſenhaft aus; wenn er graue Haare<lb/>hatte, traten ſie in dem Dunkelblond nicht her-<lb/>
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            <p> <lb/>vor; ſeine Naſe ſchien ſich, von der Naſenwur-<lb/>zel ab, für eine Hakennaſe gebildet zu haben, in<lb/>der Mitte aber, dieſen Vorſatz aufgebend, vorzu-<lb/>ziehen, gerade herab zu verlaufen; die runden Au-<lb/>gen, die er dann und wann halb ſchloß und wie-<lb/>der weit öffnete, drückten ſtaunendes Beobachten<lb/>aus; aber dieſer Umſtand beruhte lediglich in dem<lb/>Bau der etwas ſchweren Augenlider und ſeiner<lb/>langſamen Art zu reden und ſich zu bewegen.<lb/>Seine Farbe war friſch, ſeine Zähne vortrefflich,<lb/>ſeine Kleidung bequem und etwas altmodiſch, jedoch<lb/>nicht vernachläſſigt. Neben dem Baron lag eine<lb/>Pelzkappe und ein paar dicke braune waſchlederne<lb/>Handſchuhe, zu ſeinen Füßen ſchliefen zwei große<lb/>Windhunde, die ſich langſam erhoben, um den<lb/>Studenten zu beſchnuppern, als dieſer eintrat.<lb/>Der Student zwang ſeinen ſteifen Rücken zu meh-<lb/>reren Verbeugungen, drehte ſeine ſchäbige Mütze<lb/>zwiſchen den Fingern und ſagte: „Herr Baron,<lb/>ich bin ſo frei, Ihnen mitzutheilen, daß der Win-<lb/>ter herannaht und daß mein altes Röckchen hier<lb/>– mit Erlaubniß zu ſagen – nicht für dieſe<lb/>Jahreszeit eingerichtet iſt ! Da ich weiß, daß der<lb/>Herr Baron nicht duldet, es geht ein Anderer in<lb/>ſeiner Gnaden abgelegten hohen Kleidern, ſo dürfte<lb/>
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            <p> <lb/>Der Baron nahm, ohne eine Miene zu ver-<lb/>ziehen, ein friſche Pfeife mit Meerſchaumkopf<lb/>vom Geſtell, ſtopfte ſie und rauchte ſie an, dann<lb/>öffnete er ſeine Augen weit, blickte auf den Bitt-<lb/>ſteller und ſagte gelaſſen: „Wenn Du kein Trinker<lb/>und Herumtreiber wärſt, ſo würdeſt Du ein wohl-<lb/>habender und geachteter Mann ſein!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student, der in ſeiner Anrede zeigte, daß<lb/>er ſich ſehr viel ſchlauer dünkte, als der alte Herr,<lb/>der Bettler, der ſich für einige Pfennige und einen<lb/>Schnaps die ehrenrührigſten Dinge an den Kopf<lb/>werfen ließ, er, der mit ſeinem ungeregelten<lb/>Weſen prunkte, wie mit einem Freibrief auf die<lb/>Säckel der Mitwelt – dieſer abgehärtete Vaga-<lb/>bund erröthete bei den Worten des Freiherrn,<lb/>ſeine Mundwinkel hingen trüb herab und er ſagte<lb/>weinerlich: „Euer Gnaden ſind geworden, was<lb/>Dero Vorväter waren, und daß iſt Dero Stolz –<lb/>ich wurde, was die meinen waren, ein Lump! und<lb/>das iſt mein Unglück!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Baron dachte eine Weile nach, betrachtete<lb/>ſeinen Beſuch und entgegnete endlich: „Da Oben<lb/>muß Jeder für ſich ſelbſt Rechenſchaft ablegen!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Wenn nicht die Erbſünde wäre, Herr Ba-<lb/>ron! Bei Gott, Herr Baron, dazumal, als ich den<lb/>Studenten an den Nagel gehangen hatte und Mu-<lb/>ſikus ward, da hatte ich mich gebeſſert, ich wohnte<lb/>in Böhmen, bei Teplitz, ich hatte ein Haus, ein<lb/>ſchönes Weib – einen Sohn – ich war mä-<lb/>ßig – glücklich – gut – aber –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nun die Erbſünde?“ fragte der Baron.<lb/>
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            <p> <lb/>Des Studenten Geſicht ward blutroth, er ballte<lb/>ſeine Fäuſte und zerriß krampfhaft ſein ſchmutzi-<lb/>ges ſchlottriges Vorhemd – „ja, Herr Baron, da<lb/>kam eine Komödiantenbande und mein Weib ging<lb/>mir mit dem Kinde bei Nacht und Nebel davon<lb/>– kann auch bei Tag geweſen ſein! Ich war<lb/>mit einer Truppe Muſikanten auf Reiſen, wir<lb/>ſpielten in den Kneipen, auf Märkten und vor<lb/>den Häuſern auf der Straße, wie es noch iſt und<lb/>damals noch mehr war –“<lb/>
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            <p> <lb/>„So – ſo!“ ſtaunte der Freiherr, „davon weiß<lb/>man ja nichts, ich erfuhr nur, Du ſeiſt Soldat<lb/>geweſen bei den Preußen – hm! und Du ſahſt<lb/>ſie nicht wieder?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Oho“ – rief der Bettler mit dröhnender<lb/>Stimme, „es giebt keinen Ort der Welt, wo ich<lb/>ſie nicht gefunden hätte, von ihr mein Kind, mei-<lb/>
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            <p> <lb/>nen Sohn, zurück zu fordern! Ja, Herr Baron,<lb/>ich fand ſie, fand ſie in ſchönen Kleidern und<lb/>Goldſachen, aber das Kind nicht – der kleine<lb/>Wurm lag in einem Grabe draußen auf dem<lb/>Kirchhofe, an der Ecke, wo die armen Leute be-<lb/>erdigt werden von Barmherzigkeit wegen, und<lb/>ſeine Mutter ſtand auf den Brettern, weiß nicht,<lb/>ob ſie ihr Fach gut machte, aber ſie war hübſch<lb/>– das bringt Geld ein. Sehen Sie, ich dachte<lb/>erſt daran, ſie zu morden, dann mich ſelbſt zu<lb/>tödten, aber – ich bin mit gutem norddeutſchen<lb/>Schwarzbrod – Pumpernickel nennen ſie es an-<lb/>derwärts! – groß gefüttert und das wird man<lb/>nicht, ohne vorher beten zu lernen, ſo wurde ich<lb/>kein Mörder oder Straßenräuber, ſondern geigte<lb/>mich durch's Land, bis ich wieder Moor, Haide<lb/>und Tannen ſah und wieder mein gutes Schwarz-<lb/>brod zwiſchen den Zähnen hatte. – Die Leute<lb/>hier haben einen dicken Schädel, aber ſie ſind doch<lb/>ehrlicher als anderswo und was den Winter an-<lb/>langt, Herr Baron –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Freilich, der Winterrock, wir hätten das bei-<lb/>nah vergeſſen, bring' mir die Rechnung, wenn ihn<lb/>der Schneider gemacht hat, und was Du mir er-<lb/>zählt haſt bleibt unter uns“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ach“ – rief der Student bewegt und dieſe<lb/>Bewegung faſt mit Grimm niederkämpfend, „Sie<lb/>wollen den Lump ſchonen. Herr Baron! Die Leute<lb/>ſollen ihm nicht nachſchreien: Wo haſt Du Weib<lb/>und Kind? Landfahrer?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich pflege nie von Dingen zu reden, die mich<lb/>nicht angehen!“ ſagte der Hausherr kühl.<lb/>
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            <p> <lb/>Des Studenten Züge nahmen wieder ihren ur-<lb/>ſprünglichen ſchlauen und doch verkommenen Aus-<lb/>druck an, er fuhr, ſich eines zweiten Zwecks ſeines<lb/>Hierſeins erinnernd, mit der Hand durch ſein<lb/>zottiges Haar und ſagte: „Gut, ſo laſſe ich mir<lb/>einen warmen Rock machen, nicht einen mit Pelz<lb/>verbrämt, wie der des jungen Barons von Schlump,<lb/>Ihres Neffen, der ſich unten im Dorfe bei Rolf<lb/>Poppe mit den Großen unterhält, nein, einen<lb/>bürgerlichen Düffel.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Wie, mein Neffe iſt unten bei Rolf Poppe?“<lb/>fragte der alte Herr, die Pfeife aus dem Munde<lb/>nehmend. Die Windſpiele, die ſich bereits wieder<lb/>gelegt hatten, hoben ſich auf die Vorderfüße, blick-<lb/>ten den Studenten durchdringend an und zogen<lb/>die Oberlefze von den weißen, ſpitzen Zähnen, als<lb/>wollten ſie ihre Bereitſchaft, drein zu fahren, kund<lb/>thun.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, er iſt da!“ verſicherte der Student mit<lb/>großem Selbſtbewußtſein, „er ſprach eben mit<lb/>Hermanton von Tangen über die Grundſtücke –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Mein Freund,“ unterbrach der Baron ge-<lb/>meſſen, „es wird Abend, Er thäte gut, ſeines<lb/>Weges zu gehen.“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student ſah jetzt den Baron an, der ruhig<lb/>fortrauchte und eines Fremden Anweſenheit gänz-<lb/>lich vergeſſen zu haben ſchien, indeß die Windſpiele<lb/>ſich vollends erhoben, einen runden Rücken mach-<lb/>ten und leiſe knurrten. Der Bittſteller, der ſonſt<lb/>nicht eben das elfte Gebot außer Augen ſetzte,<lb/>fand es doch gerathen jetzt ſchleunigſt hinweg zu<lb/>ſtolpern. Es war ihm, als müſſe des Barons Blick<lb/>ihn verfolgen, bis er das freiherrliche Territorium<lb/>verlaſſen habe.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Baron blickte aber nach wie vor in die<lb/>Flammen des Kamins, nur die Hunde beobachteten<lb/>den Fortgehenden, bis ſich die Thür ſchloß, wo<lb/>ſie ſich ausſtreckten und, die ſpitze Schnauze auf<lb/>den Vorderpfoten, einen leichten Schlummer er-<lb/>warteten.<lb/>
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            <p> <lb/>Der junge Baron ſaß indeß nicht mehr, wie<lb/>es der Student gemeint hatte, bei Rolf Poppe.<lb/>Nach einer langen Unterhaltung, die namentlich<lb/>
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            <p> <lb/>geeignet war Tangen’s Selbſtgefühl zu ſchmeicheln,<lb/>und den unangenehmen Eindruck, den die Reden<lb/>des Studenten offenbar bei ihm zurückgelaſſen,<lb/>wieder aufhob – war der junge Herr ſo begierig,<lb/>Tangen's Maſchinen zu ſehen, daß er ſein Fuhr-<lb/>werk nachkommen ließ und mit dem Bauer zu Fuß<lb/>dem Gehöfte zuſchritt, das zehn Minuten außer-<lb/>halb des Dorfes recht behäbig dalag. Tangen's<lb/>Sticheleien auf den nachläſſigen Betrieb der Land-<lb/>wirthſchaft in Dalbrook, die anfangs kaum fühl-<lb/>bar durchklangen, wurden von dem Neffen des<lb/>Freiherrn ſo beifällig und einſichtsvoll aufgenom-<lb/>men, daß ihm, er wußte nicht wie, plötzlich ent-<lb/>ſchlüpfte: „Ein guter Herr, aber ein Mann wie<lb/>ein Kind, er weiß nichts von der Welt – er hat<lb/>keinen Charakter!“ „Ach,“ rief der Neffe, ſtehen<lb/>bleibend und mit den Mienen der Beſorgniß –<lb/>„ſo iſt es wahr, was man den Verwandten ſagt<lb/>– armer Onkel!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Was ſagt man denn?“ frug Tangen raſch<lb/>und mißtrauiſch.<lb/>
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            <p> <lb/>Der junge Herr war entweder überhaupt nicht<lb/>weltklug oder er hatte keine rechte Auffaſſung des<lb/>Bauerncharakters; er ließ plötzlich ſein unbefan-<lb/>genes, vertrauendes Weſen fallen und entgegnete:<lb/>
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            <p> <lb/>„O, nichts Beſonderes, nur, mein Oheim verſtehe<lb/>nichts von Oekonomie!“<lb/>
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            <p> <lb/>Tangen faltete ſeine Augenbrauen zuſammen,<lb/>er krabbelte und klimperte einen Augenblick in<lb/>ſeinen Taſchen, dann ließ er ſich mit deutlich be-<lb/>tonten Worten vernehmen, laut, wie er das alle-<lb/>mal war, wenn er widerſprach: „O doch, der<lb/>Baron verſteht Alles ganz gut, aber er hat keinen<lb/>Charakter, er bleibt beim Alten!“<lb/>
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            <p> <lb/>Des jungen Herrn Geſicht ward etwas länger:<lb/>„Eben meinten Sie doch, mein Oheim wäre nicht<lb/>recht zurechnungsfähig, mit einem Wort – charakter-<lb/>los! – Ihr fürchtet am Ende“ – fügte er raſch<lb/>hinzu, „ich würde Mißbrauch von Euren Worten<lb/>machen.“<lb/>
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            <p> <lb/>„So – hm ! – Ja wohl!“ machte Tangen<lb/>in längeren Zwiſchenräumen. Dann hellte ſich<lb/>ſein Geſicht wieder auf, er ſtrich liebkoſend über<lb/>ſeinen Magen, als ob ihm von dort eine abſon-<lb/>derlich kluge Idee gekommen wäre und entgeg-<lb/>nete dann: „Ja wohl, junger Herr, Ihr verſteht<lb/>meine Sprache nicht, Ihr denkt, keinen Charakter<lb/>haben heißt ſo viel, als etwa: Ich habe keinen<lb/>Charakter, wenn ich ein Teſtament mache, ſo kön-<lb/>nen meine Erben ſagen: Das gilt nichts! Er war<lb/>
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            <p> <lb/>ſchon wieder in der Kindheit! Die Nachbarn kön-<lb/>nen es bezeugen! he?“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Andere fühlte, wie ihm das Blut in Stirn<lb/>und Wangen ſtieg und Tangen ſah es; indeß er-<lb/>wiederte der Fremde: „Nicht ſo ganz, lieber von<lb/>Tangen, es heißt nur ſo viel, daß, wer ohne Cha-<lb/>rakter, nicht nach beſtimmten Grundſätzen, ſondern<lb/>nach dem handelt, was die Gelegenheit oder an-<lb/>dere Menſchen ihm eben eingeben!“<lb/>
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            <p> <lb/>„So, das heißt es in Eurer hochdeutſchen<lb/>Sprache! In unſerm Emsländiſch heißt es ſo<lb/>viel: Er läßt ſich lieber zu nahe thun, als daß<lb/>er ſich wehrt, er fängt keinen Streit an und iſt<lb/>nicht rachſüchtig, er denkt nicht an ſeinen Vortheil,<lb/>er läßt die Welt gehen wie ſie will, er giebt, wo<lb/>er kann, er –“<lb/>
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            <p> <lb/>„So, ja“ – unterbrach der Neffe, „und das<lb/>iſt mir lieb, daß Sie ſo von meinem Onkel den-<lb/>ken, obwohl Sie ſein Gegner ſind.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, das bin ich, Herr, denn er kennt die<lb/>Welt nicht und ein kluger Mann muß ſie ken-<lb/>nen; aber wenn ich neben ihm im Himmel zu<lb/>ſitzen komme, ſo habe ich einen guten Platz; ſeht,<lb/>für den Himmel macht er's recht, aber nicht für<lb/>die Erde!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Iſt das ein ſtattliches Gebäude, Euer Haus!“<lb/>lenkte der Fremde die Unterhaltung gewaltſam ab,<lb/>aber Tangen hatte ſich nun einmal in ſein Thema<lb/>verbiſſen und hielt ihn redend vor der Pforte feſt:<lb/>„Das iſt Charakter, Herr: ſein Vermögen zu meh-<lb/>ren, der Erſte weit umher zu ſein und auch zu<lb/>gelten; das beſte Haus zu haben und mit geſun-<lb/>den Kindern darin zu wohnen, ſich nicht vor De-<lb/>nen zu fürchten, die ſich Wunder was über uns<lb/>dünken und was neu erfunden und ausgedacht<lb/>wird, zu kennen und zu gebrauchen!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der ehrliche Mann fuhr noch lange in ſeiner<lb/>Monographie fort, während den Hörer ein hüb-<lb/>ſcher blonder Mädchenkopf beſchäftigte, den er durch<lb/>die großen Scheiben beobachtete; einmal hatte ſich<lb/>dieſer Kopf erhoben, um ihn anzuſchauen, dann<lb/>ſich ruhig abgewandt, ſich wieder zu einem Gegen-<lb/>ſtande herabbeugend, der kaum etwas anderes, als<lb/>ein Buch ſein konnte, denn die Wange ſtützte ſich<lb/>auf die unbeſchäftigte Hand. Das Mädchen war<lb/>des Bauern von Tangen jüngſte Tochter Aleid, ein<lb/>keckes, unabhängiges Weſen von achtzehn Jahren,<lb/>an der, obwohl ſie und ihre ältere Schweſter<lb/>Vronke den letzten Schliff ihrer Erziehung im<lb/>Kloſter abwarteten, nicht viel Klöſterliches haften<lb/>
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            <p> <lb/>geblieben war; ſelbſt dort in den friedlichen Mauern<lb/>der Urſelinen ſchlug der raſtloſe, ehrgeizige und<lb/>widerſprechende Sinn ihres Vaters in ihr ſtets<lb/>von Neuem durch und konnte durch die übliche<lb/>Strafe des „Zubettbleibens“ durch viele Stunden<lb/>und ganze Tage, nicht gebrochen und gebändigt<lb/>werden. Trotzdem war Aleid eine der beliebteſten<lb/>Schülerinnen des Kloſters, die ihre guten Stunden<lb/>hatte, wo ſie ihren Gefährtinnen beinah unwider-<lb/>ſtehlich war, dann aber kamen die ſchlimmen, der<lb/>Hochmuth, die verſteckte Urſache aller Ungewöhn-<lb/>lichkeiten bei ihr und ihrem Vater; er faßte ſie<lb/>und zwang ſie Dinge zu thun und zu ſagen, die<lb/>ihr im Grunde ſelbſt widerſtrebten und ihrem hülf-<lb/>reichen Sinn, ihrer mitunter exaltirten Religio-<lb/>ſität ſchnurſtracks entgegen liefen. Aleid beugte<lb/>ſich allerdings jetzt über ein in Sammet gebun-<lb/>denes Gebetbuch mit ſilbernen Spangen, aber ſie<lb/>hatte an dem Tage, wo der junge Baron von<lb/>Schlump, er war ſeines Amtes Aſſeſſor bei einem<lb/>Obergericht, kam, nicht das, was man „den<lb/>glücklichen Stern“ oder „die gute Stunde“ nennt;<lb/>im Gegentheil, die drei in der großen, lichten Küche<lb/>anweſenden, ſo nahe verwandten Perſonen hatten<lb/>einen heftigen Streit ausgefochten, indeß von der<lb/>
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            <p> <lb/>tapezirten und mit den geblumten Gardinen ge-<lb/>putzten Stube – nach bäuriſcher Mundart „Vi-<lb/>ſitenkammer“ – die langezogenen Töne einer Geige<lb/>klangen. Dieſes Inſtrument hatte denn auch<lb/>wieder einmal den Zankapfel abgeben müſſen, ſehr<lb/>unbewußt offenbar, denn ein altes emsländiſches<lb/>Lied wurde ununterbrochen aus ihm hervorgelockt<lb/>und mitunter fiel eine Stimme ein, die von den<lb/>höchſten bis zu den tiefſten Tönen ſehr unerwartet<lb/>hinüber ſprang, eine Stimme, die ſich eben mau-<lb/>ſerte, die Stimme eines Knaben, welche es ver-<lb/>ſucht, ſich in die männlichen Klänge eines künftigen<lb/>Baritons hinein zu arbeiten. Mitunter verſtand<lb/>man doch einige Worte:<lb/>
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            <p> <lb/>„Wenn man Stroh auf's Feuer legt<lb/>Und der Schnee dazwiſchen weht,<lb/>Wie bald iſt das verbrennt,<lb/>So geht's auch mit der Liebe,<lb/>Wie bald hat die ein End'! –“<lb/>
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            <p> <lb/>Das heißt, die drei Frauen, die Haustante oder<lb/>„Husmöke“ und ihre Nichten hätten die Worte<lb/>verſtehen können, wenn ſie nicht eben in einen<lb/>Zank verwickelt geweſen und ſelbſt geredet haben<lb/>würden. Die Haustante, die bei Vronke und<lb/>Aleid Mutterſtelle vertrat, will ſagen, ſich von der<lb/>
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            <p> <lb/>Letzteren auf jede Weiſe beeinflußen und tyran-<lb/>niſiren ließ, fing freilich, obwohl ſie nie heiter<lb/>war, ſelten geradezu Streit an, ergriff aber bei jeder<lb/>Meinungsverſchiedenheit zwiſchen den Schweſtern<lb/>immer Aleid's Partei, ſo daß die ernſte und minder<lb/>begabte Vronke endlich des lieben Friedens wegen<lb/>nachgab, ohne überzeugt zu ſein!<lb/>
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            <p> <lb/>„Die abſcheuliche Violine,“ hatte Aleid geſagt,<lb/>„hat man je gehört, daß der Sohn eines dicken<lb/>Bauern Muſikant iſt? Ich ſchäme mich immer,<lb/>wenn Leute vorübergehen oder in's Haus kom-<lb/>men, ich begreife nicht, wie Vater es leiden mag.<lb/>Von ſeinem unnützen Violeſpielen und alte dumme<lb/>Lieder aufſchreiben, iſt der Junge auch ſo dünn<lb/>und gelb, als hätten wir kein Pfund Speck im<lb/>Wiemen; eine Senſe und Dreſchflegel faßt er an<lb/>wie das Kind den Breilöffel, da iſt kein Verſtand<lb/>darin !“<lb/>
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            <p> <lb/>„Wozu ſoll er denn dreſchen?“ nahm Vronke<lb/>das Wort, „wir haben ja den Dreſchkaſten für<lb/>viel Geld gekauft, und wenn wir ihn auch nicht<lb/>hätten, ſo hat Tangen's Erbe nicht nöthig, Knechts-<lb/>arbeit zu thun. Wenn er dünn und fein iſt, ſo<lb/>ſoll er ſo lange Muſik machen und ſich die Zeit<lb/>
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            <p> <lb/>vertreiben, bis er ſtark wird, beſſer, er iſt bei der<lb/>Viole als im Wirthshaus.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Natürlich,“ fiel die Tante mürriſch ein, „daß<lb/>Du Evert's Sache auf Dich nimmſt, das iſt immer<lb/>ſo geweſen, und Du haſt ihn verdorben – ſieht<lb/>der aus wie ein Bauernſohn? Twicker iſt ein<lb/>Stümper neben unſerm Bauer, meinem Bruder,<lb/>aber ſeine Jungen ſind anders aus dem Dreck<lb/>gewachſen, ſo groß, ſo ſtämmig, ich möchte wiſſen,<lb/>wer wie ſie einen Sack auf die Mühltreppe trägt!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Bah, Möke,“ fiel Aleid ein, „Twickers ſind<lb/>Klötze all' miteinander, ihre Knochen mögen ſtark<lb/>ſein, aber ſonſt ſind ſie dumm wie Bohnenſtroh;<lb/>da kommen noch Anſehnlichere in die Kirche als<lb/>Twickers.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Geh zum Henker mit Deinen Anſehnlichern!“<lb/>rief die Tante und warf die Zange klirrend auf<lb/>die rothen Backſteine des Fußbodens, ſtatt ſie auf<lb/>einen der gelben Meſſingknöpfe zu hängen, die zu<lb/>dieſem Behuf an den weißen Flieſen angebracht<lb/>waren, welche die Seitenwände des Heerdes be-<lb/>kleideten, der indeß dem Fortſchritt bereits inſo-<lb/>fern huldigte, als er eine hübſche Kochmaſchine<lb/>neben ſich unter dem zierlich gefalteten bunten<lb/>Schornſteinmantel duldete.<lb/>
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            <p> <lb/>„Da kommt Vater mit einem Fremden,“ be-<lb/>merkte Vronke.<lb/>
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            <p> <lb/>„Wenn ich zum Kukuk oder wohin immer mit<lb/>den Anſehnlichen gehen will, ſo werde ich gewiß<lb/>Niemand um Erlaubniß fragen!“ rief Aleid hef-<lb/>tig, ſah dann aus dem Fenſter auf den Baron<lb/>und von ihm verdrießlich auf ihr ſchönes Gebet-<lb/>buch in rothen Sammet gebunden.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Bauer pflegte ſeine Töchter vorzuſtellen:<lb/>„Meine Tochter Adelheida und meine andere<lb/>Tochter,“ und that es auch jetzt, wenn zwar beide<lb/>Töchter den Gruß des Fremden mit kaum ſicht-<lb/>barem Kopfnicken erwiederten und Vronke dem<lb/>Baron, der ſich für einen auffallend wohlgebauten<lb/>jungen Mann hielt, mit beſonders gleichgültiger<lb/>Miene einen Stuhl hinſchob. In Emslande wohnt<lb/>man in den geräumigen und ſchönen Küchen,<lb/>ſelbſt die Wohlhabendſten des Bauernſtandes ma-<lb/>chen hierin keine Ausnahme. Hätte indeß nicht der<lb/>Baron das Mißtrauen des Hausherrn erweckt,<lb/>der Letztere würde ihn dadurch geehrt haben, daß<lb/>er ihn in die Stube geführt hätte, denn in dem<lb/>Verhalten des Bauern gegen einen Gaſt ſtuft ſich<lb/>eine ganze, nur ſeiner Umgebung verſtändliche<lb/>Scala der Berückſichtigung ab, der Baron hätte<lb/>
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            <p> <lb/>beſten Falls zwei bis drei Stufen höher ſtehen<lb/>können und ſollen. – Im Tangen'ſchen Hauſe<lb/>fand es Jeder natürlich, wenn Aleid beachtet und<lb/>Vronke überſehen ward, obgleich die Letztere noch<lb/>höher und ſtattlicher als ihre ſchönere Schweſter<lb/>war, eine tüchtige Bauerntochter an Geſtalt und<lb/>Gemüth, mit ſehr blondem Haar und reinen<lb/>blauen Augen; ein grundehrliches Geſicht mit<lb/>einem netten, freundlichen Munde; aber eben weil<lb/>ihre Schweſter, bis auf die ſtete Freundlichkeit,<lb/>alle ihre Schönheiten und noch einige entſcheidende<lb/>andere, dunkle Augenbogen, feine Naſe, ſchmalere<lb/>Geſichtsform, welliges Haar, und vor Allem das<lb/>ſprühende Weſen dazu hatte, ſo trat Vronke zu-<lb/>rück, und hätte das vermuthlich auch dann gethan,<lb/>wenn ihre Schweſter die minder hübſche gewe-<lb/>ſen wäre.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ah, man muſicirt in Ihrem Hauſe!“ be-<lb/>merkte der Baron, in der Abſicht, etwas Verbind-<lb/>liches zu ſagen – Aleid wandte ſich ſchnell und<lb/>trotzig ab, Vronke erröthete, wie das hellblonde<lb/>Geſichter ſo leicht und tief thun, und der Bauer<lb/>rief mit Stentorſtimme: „Evert!“<lb/>
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            <p> <lb/>Ein aufgeſchoſſener Junge mit dunklem Haar<lb/>und dunklen, verſchleierten Augen erſchien vor der<lb/>
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            <p> <lb/>Glasthür der Viſitenkammer, die Geige noch an's<lb/>Kinn gedrückt, und trat dann, ohne dieſelbe, raſch<lb/>und mit der Haltung unbedingter Folgſamkeit,<lb/>in die Küche. „Das iſt mein Erbe, Eberhardus!“<lb/>ſprach von Tangen.<lb/>
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            <p> <lb/>„Du ſpielſt Violine ?“ fragte der Baron.<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein, ich ſpiele kein Inſtrument!“<lb/>
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            <p> <lb/>Des Knaben Augen hatten erwartungsvoll ge-<lb/>leuchtet – jetzt ſenkten und verſchleierten ſie ſich<lb/>wieder und er blickte theilnahm- und ziellos aus<lb/>dem Fenſter.<lb/>
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            <p> <lb/>„Gieb mir den Schlüſſel zur Maſchinenkam-<lb/>mer, Evert; noch ein Glas, junger Herr“ – es<lb/>war ein leidlicher Rothwein von Vronke herbei-<lb/>geholt – „nichts mehr? – nun denn, wenn's<lb/>beliebt, zu den Maſchinen!“<lb/>
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            <p> <lb/>Die Windſpiele des alten Freiherrn waren<lb/>nach dem Fortgehen des Studenten noch zu keiner<lb/>ganz ſorgloſen Ruhe gekommen, als ein Rollen<lb/>vor der Brücke ſie abermals die Ohren ſpitzen<lb/>machte und ſie dann, als wirklich ein Fuhrwerk<lb/>in den Hof lenkte, winſelnd und belfernd an die<lb/>Thür ſprangen. Der Freiherr ſtellte ſeine Pfeife<lb/>bei Seite, ſetzte ſeine Pelzmütze auf, zog die Hand-<lb/>
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            <p> <lb/>ſchuhe an und ging über die große Entrée der<lb/>Hausthür zu, dort hing an einem Nagel ein Körb-<lb/>chen mit den rothen Beeren der Ebereſche – auch<lb/>dieſes nahm der alte Herr mit und trat dann<lb/>hinaus.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Gaſt, welcher herangefahren war, ſtand<lb/>bereits auf der Treppe und begrüßte den Haus-<lb/>herrn mit einem: „Guten Abend, lieber Onkel!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Guten Abend, Roland!“ klang es ruhig zurück.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich hoffe, mein Beſuch ſtört Dich nicht,<lb/>Onkel?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Du kommſt ſo ſelten, daß ſelbſt dann keine<lb/>Entſchuldigung nothwendig wäre, aber Du weißt,<lb/>ich laſſe mich nie ſtören – Du ſiehſt mich auf<lb/>dem Wege zum Dohnenſtieg!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Sehr wohl, Onkel, aber es dunkelt bereits!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich weiß, wo ich nachzuſehen habe, und kenne<lb/>die Stellen ſelbſt im Finſtern!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Neffe folgte, er ſtrebte offenbar, den Ein-<lb/>gang zu einer Mittheilung, die im beſten Glanze<lb/>auftreten ſollte, zu finden. Der Alte ſchritt rüſtig<lb/>voran; in den Hecken der Reitallee, die kaum<lb/>mehr dieſer Bezeichnung würdig waren, ſondern<lb/>vielmehr ein uraltes, hier und da licht gewordenes<lb/>Hagebuchengewirr bildeten, hingen die erſten Schlin-<lb/>
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            <p> <lb/>gen. Der Oheim ſteckte neue Beeren in die Weiden<lb/>der Schlinge.<lb/>
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            <p> <lb/>„Lieber Onkel,“ begann Roland, ich komme,<lb/>um Dir mitzutheilen, daß –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Sei ſo gut, mein Junge,“ unterbrach der<lb/>Andere, „und rede nicht, möglicher Weiſe ſchlafen<lb/>die Vögel hier umher, oder wollen ſich eben zur<lb/>Nachtruhe niederlaſſen, das könnte ſie verſcheuchen.“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Neffe ſchwieg, der Oheim verfolgte ſeinen<lb/>Weg durch den Sternbuſch, es war hier in der<lb/>That beinahe finſter. Der Aſſeſſor ſteckte eine<lb/>Cigarre an.<lb/>
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            <p> <lb/>„Es wäre mir lieb, Roland,“ ſprach der Frei-<lb/>herr, „Du rauchteſt hier nicht, es iſt ſonderbar,<lb/>was für eine ſcharfe Witterung die Thiere des<lb/>Feldes und Waldes haben!“<lb/>
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            <p> <lb/>Roland warf die Cigarre, es war ein vortreff-<lb/>liches Blatt, zur Erde und ſtampfte ſie aus, daß<lb/>der Boden dröhnte.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich danke Dir, mein Junge!“ ſprach der<lb/>Oheim gemeſſen wie immer und ging weiter und<lb/>weiter, ohne indeß das Mindeſte zu fangen. Die<lb/>zierlichen Stiefel des Aſſeſſors waren bereits vom<lb/>Thau und der Feuchtigkeit der niedrigen Stellen<lb/>am Rande der Gräben durchnäßt, und da er ſeinen<lb/>
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            <p> <lb/>hübſchen und warmen Oberrock im Wagen gelaſſen,<lb/>denn auch der alte Baron war im Hausrock, – fing<lb/>er an zu frieren. Der Mond ſtieg bleich empor<lb/>– der Alte ſchritt weiter, ihm entgegen. Die<lb/>beiden Männer waren jetzt wohl eine Stunde ge-<lb/>gangen, hin und her, weit über die Grenzen des<lb/>Dohnenſtieges hinaus, da drehte ſich der Freiherr<lb/>plötzlich um, betrachtete einige Augenblicke den<lb/>fröſtelnden jungen Herrn und fragte gelaſſen:<lb/>
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            <p> <lb/>„Dich friert wohl, Roland?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Allerdings, mich friert ein wenig, Onkel Cas-<lb/>per!“ war die unſichere Antwort, die wahrſchein-<lb/>lich vorher gegen eine verneinende abgewogen war.<lb/>
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            <p> <lb/>„Hätte ich das gewußt,“ meinte der Alte gleich-<lb/>müthig, „ſo wären wir ſchon im Sternbuſch um-<lb/>gekehrt.“<lb/>
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            <p> <lb/>Es dauerte lange, bis der junge Mann, endlich<lb/>in der Burg wieder angekommen, ſich einigermaßen<lb/>am Kamin durchwärmte, wozu ein tüchtiges Abend-<lb/>brod auch das Seine that. Der Onkel ſchien ver-<lb/>geſſen zu haben, daß der Neffe ihm eine Mit-<lb/>theilung zu machen beabſichtigte, und dieſer ſaß<lb/>mit ſeinem Vortrag da, als habe er vor einer<lb/>großen Geſellſchaft einen Toaſt auszubringen, den<lb/>er fortwährend memoriren müſſe. Endlich, der<lb/>
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            <p> <lb/>Oheim hatte bereits mehrmal ſinnend die alte und<lb/>ſehr laut tickende Wanduhr angeblickt, das Geſpräch<lb/>lag in einem fortwährenden Todeskampfe, wenn<lb/>man die ſparſamen Fragen und Antworten, die<lb/>hin und her ſchlichen, überhaupt Geſpräch nennen<lb/>kann, endlich alſo ſtürzte ſich der Neffe kopfüber<lb/>in die Angelegenheit.<lb/>
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            <p> <lb/>„Onkel, ich wollte Dir noch ſagen, weshalb ich<lb/>gekommen bin!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Hm – alſo das mußt Du mir erſt ſagen?<lb/>Früher verſtand es ſich von ſelbſt, daß Blutsver-<lb/>wandte ſich beſuchten; als Knaben wart Ihr oft<lb/>genug hier, Du, Deine Brüder und Deine Vettern.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Freilich, Onkel Casper, aber es giebt doch<lb/>manche Mittheilungen, die man nur mündlich ab-<lb/>machen kann, und eine ſolche verband ich mit<lb/>meinem Beſuche.“<lb/>
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            <p> <lb/>„So? ich bin neugierig, was für Mitthei-<lb/>lungen man nur mündlich abmachen kann!“ –<lb/>Eine dicke Tabakswolke verhüllte den Frager, ſeine<lb/>gleichmäßige Stimme ſchien förmlich in derſelben<lb/>zu verhallen.<lb/>
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            <p> <lb/>„Lieber Onkel, ich habe mich verlobt!“<lb/>
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            <p> <lb/>erzogen, eine hübſche, elegante Erſcheinung, ich<lb/>werde allgemein beneidet – Onkel Casper!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein, Roland,“ klang die gleichmäßige Stimme<lb/>hinter dem Tabaksnebel hervor, „nein, mein Junge,<lb/>Du wirſt mich ſchwerlich überzeugen können, ich<lb/>wußte ſchon während unſeres Spaziergangs heute<lb/>Abend, daß ich Deine Bitte nicht erfüllen kann!“<lb/>
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            <p> <lb/>„So haben mich meine Brüder oder meine<lb/>Vettern verleumdet!“ fuhr Roland auf – „o, das<lb/>ſieht ihnen ähnlich, mich zu überliſten, hinter<lb/>meinem Rücken –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ruhig – ruhig!“ – Die Tabakswolke ver-<lb/>theilte ſich und des Onkels Augen ruhten erſtaunt<lb/>auf dem Entrüſteten – „ich muß Dir ſagen, mein<lb/>Junge, Deine Brüder und Vettern haben ſich bis-<lb/>her ſo wenig um mich gekümmert als Du!“<lb/>
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            <p> <lb/>That nicht, daß Du aber Deinen Onkel zu Etwas<lb/>benutzen wollteſt, das nicht iſt, wie es ſein ſollte<lb/>– das wußte ich!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Aus welchem Umſtand ziehſt Du ſo kränkende<lb/>Schlüſſe – Oheim ?“<lb/>
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            <p> <lb/>Es erfolgte eine lange Pauſe, der alte Herr<lb/>ſchien ſich ſeine Gründe zurecht zu legen, dann<lb/>entgegnete er: „Du warſt nachgiebiger auf un-<lb/>ſerm Spaziergang, als es ſich mit der Offenheit<lb/>verträgt!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Oheim,“ brauſte Roland auf – „das ſagſt<lb/>Du mir, Du, deſſen Nachgiebigkeit ſprichwörtlich<lb/>iſt – der überall zu kurz kommt – Du?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich – eben weil ich zu kurz komme, kann ich<lb/>nachgiebig ſein, ich würde es nicht ſein können<lb/>und wollen, um Etwas zu erreichen – wer Etwas<lb/>erlangen will, ſoll mit offenem Viſir kommen.“<lb/>
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            <p> <lb/>Roland ging aufgeregt im Zimmer auf und<lb/>nieder. „Ja, ich bin ein Dummkopf – ein al-<lb/>berner Dummkopf!“ rief er.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Oheim ſchüttelte leiſe den Kopf, ſchwieg<lb/>aber.<lb/>
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            <p> <lb/>Roland blieb vor dem Freiherrn ſtehen. „Sieh,<lb/>
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            <p> <lb/>Onkel Casper, ich kann meine Braut nicht hei-<lb/>rathen, da wir Beide ziemlich unbemittelt ſind,<lb/>wenn uns nicht für die Zukunft ein beſtimmtes<lb/>Capital zugeſichert wird, dem vielleicht ein kleiner<lb/>jährlicher Zuſchuß voran ginge; ich hoffte, ich<lb/>könnte Dir klar machen, daß Du das Lebensglück<lb/>von zwei Menſchen gründeſt, die Dir, ſo lange ſie<lb/>leben, dankbar ſein werden?“<lb/>
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            <p> <lb/>„So? – hm! ja ſieh, für Dankbarkeit thue<lb/>ich nichts, mein Junge, ich helfe überhaupt aus<lb/>keinem Grunde, als weil es mir gelehrt iſt, ſo viel<lb/>wir können zu helfen. Einen jährlichen Zuſchuß<lb/>werde ich Dir alſo geben!“<lb/>
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            <p> <lb/>Allodialbeſitz zuzuwenden, als ich mit dem Lehen<lb/>von meinem Vater erhielt, damit er ſtandesgemäß<lb/>leben kann, das Vermögen meiner Mutter legt<lb/>mir indeß keine Verpflichtungen auf.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Aber, Onkel Casper, Waldemar iſt der reichſte<lb/>und leichtſinnigſte – Deiner Neffen!“<lb/>
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            <p> <lb/>Roland verbarg ſein Geſicht in die Hände.<lb/>„Onkel,“ begann er endlich, „würdeſt Du wenig-<lb/>ſtens mir ein Document anvertrauen wollen, das<lb/>mir den ungefähren Betrag meines dereinſtigen<lb/>Erbantheils zuſichert – der Vater meiner Braut<lb/>verlangt etwas Gewiſſes.“<lb/>
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            <p> <lb/>nicht einmal gewußt! Alſo Du vermutheſt, es<lb/>nimmt mich keine Frau mehr?“<lb/>
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            <p> <lb/>Ein Hoffnungsſchimmer ſtieg in Roland's<lb/>Augen auf. „Als Deine Nichte –? O, gewiß<lb/>ſehr glücklich, Onkel, aber ſie würde allerdings<lb/>Deine Gewohnheiten ſehr unterbrechen. Eine Dame<lb/>von Welt, die ſtets den Mittelpunkt des Kreiſes<lb/>bildete, in welchem ſie lebte, ſtellt eine Menge<lb/>Forderungen an's Leben, von denen Du keine<lb/>Ahnung haſt.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich habe überhaupt keine Ahnungen, mein<lb/>Junge, und glaube auch nicht an Ahnungen!<lb/>Was meine Gewohnheiten anlangt – die können,<lb/>ſo lange ich lebe und meinen Verſtand habe, nie-<lb/>mals unterbrochen werden und durch Niemand !<lb/>Was ferner die Anforderungen meiner Gäſte be-<lb/>
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            <p> <lb/>trifft, ſo richtet ſich mein Hausſtand nicht darnach,<lb/>ſondern nach den Mitteln, welche ihm zu Gebote<lb/>ſtehen – alſo Du vermutheſt, Deine Braut würde<lb/>ſich hier nicht gern aufhalten –? Hm, ich habe<lb/>mir Dalbrook in ſeiner grünen Umgebung immer<lb/>als einen der freundlichſten Punkte der Welt ge-<lb/>dacht, obwohl ich in meiner Jugend auch Reiſen<lb/>machte. Es war mein Stolz, daß man hier nichts<lb/>von der großen Welt hört und ſieht.“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Aſſeſſor war in großer Verlegenheit dem<lb/>ſchlichten alten Manne gegenüber, es war ihm<lb/>ſtets, als verberge derſelbe irgend welchen ver-<lb/>ſteckten Sinn in ſeiner Rede, wie er ihn ſchon<lb/>mehrfach dieſen Abend förmlich aus dem Sattel<lb/>ſeiner Beredſamkeit geworfen hatte. „Ich werde<lb/>mit meiner Braut ſprechen,“ ſagte er endlich tief<lb/>aufathmend, „und wenn ſie wünſcht zu kommen,<lb/>darf ich ſie Deiner Erlaubniß verſichern?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Du weißt, Roland, jeder rechtſchaffene Menſch<lb/>hat dieſe Erlaubniß; meine Thür war noch keinen<lb/>Tag verſchloſſen, ſeit ich hier zu beſtimmen habe<lb/>– und nun gute Nacht – es ſchlägt Zehn,<lb/>morgen machen wir eine Partie Piquet!“<lb/>
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            <p> <lb/>Zehn Uhr iſt auf dem Lande eine ſpäte Stunde<lb/>– als der alte Diener des Barons die dicken gelben<lb/>
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            <p> <lb/>Wachslichter, die im Haushalt nach uraltem Ge-<lb/>brauch fabricirt wurden, ausgelöſcht hatte, brannte<lb/>wohl kaum eine Meile im Umkreiſe noch ein<lb/>Licht – doch ja, in der Küche des Bauern von<lb/>Tangen war es noch hell und er ſelbſt ſchritt un-<lb/>ruhig in ihrer Länge auf und nieder, und dieſe<lb/>Länge war nicht unbedeutend, ſie beſtand aus der<lb/>ganzen Breite des Gebäudes.<lb/>
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            <p> <lb/>Er murmelte halblaut vor ſich hin und auf<lb/>ſeinem beweglichen Geſicht wechſelten vielfache Ein-<lb/>drücke. – „Gehe ich oder gehe ich nicht?“ fragte er<lb/>einige Male, als eine helle Stimme von der Auf-<lb/>kammer, unter deren Treppe der Eingang zum<lb/>Keller lag, herab rief: „Vater, weshalb geht Ihr<lb/>nicht zu Bett?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, Kind – das iſt ſo!“ erwiederte der Bauer,<lb/>oder beſſer, umging er eine Erwiederung, aber<lb/>von einer neuen Idee erfaßt, ſtolperte er die<lb/>Stufen zur Aufkammer empor, bis vor die große<lb/>Wandbettſtelle, wo man aus mächtigen Federbet-<lb/>ten hervorſchauend im matten Mondlicht die blon-<lb/>den Köpfe ſeiner Töchter unterſchied. „Kinder,“<lb/>ſagte er, „wir waren ſeit dreihundert Jahren Nach-<lb/>barn, ſein Haus iſt ſo alt als unſeres, unſere Vor-<lb/>eltern hielten immer zu einander – ich kann es<lb/>
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            <p> <lb/>nicht leiden, daß er betrogen wird – und er wird es,<lb/>er hat keinen Charakter, er iſt wie ein Kind!“<lb/>
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            <p> <lb/>„So geht doch und warnt ihn!“ rief Aleid.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich muß es auch, ja, ich muß es, wer könnte<lb/>es thun, wenn nicht ich –! Aber wird die Ge-<lb/>meinde nicht ſagen: Der Bauer von Tangen geht<lb/>wie der Wind, heut von rechts, morgen von<lb/>links? – Es koſtet meine Reputation, denn ich<lb/>bin ſein Gegner!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Wißt Ihr was, Vater,“ ſagte Aleid, „ich<lb/>will zu ihm.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Du könnteſt zur Haushälterin, zur Mamſell<lb/>Brummel gehen –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Sie heißt nicht Brummel, ſie heißt Brunnel,<lb/>aber wißt Ihr, Vater, ich gehe nicht zu Haushäl-<lb/>terinnen, Aleid von Tangen geht zum Herrn, was<lb/>iſt er denn mehr als ich? Geht zu Bett, Vater,<lb/>die Leute werden davon reden, daß hier ſo ſpät<lb/>Bewegung im Hauſe iſt.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ach, was frage ich nach den Leuten?“ grollte<lb/>der charaktervolle Mann, ganz vergeſſend, daß ihm<lb/>eben die Frage, was die Leute zu einem recht-<lb/>ſchaffenen Entſchluß, der ihm kam, ſagen würden,<lb/>an der Ausführung ſchwanken machte. Es ward<lb/>indeß jetzt dunkel und ſtill in der Küche, der<lb/>
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            <p> <lb/>Bauer kletterte in ſeine Butze und murmelte zu-<lb/>frieden: „Ein verteufelt kluges Mädchen, das hat<lb/>ſie von mir, und ſtolz wie ich – ja, Aleid muß<lb/>gehen, ſie wird's dem Alten ſchon ſagen, die iſt<lb/>nicht um's rechte Wort verlegen, ſo wenig als ihr<lb/>Vater –!“<lb/>
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            <p> <lb/>Als der Bauer, einige Minuten früher, die<lb/>Treppe der Aufkammer dröhnend herniederſtieg,<lb/>ſprach Aleid zu ihrer Schweſter: „Ja, ich gehe,<lb/>und nun iſt die Feindſchaft aus und zu Ende!<lb/>Es thut nicht gut, Vronke, wenn die Großen<lb/>in der Gemeinde gegen einander ſtehen und die<lb/>Geringen darüber lachen, daß die Wenigen nicht<lb/>einig ſind!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Weshalb iſt denn jetzt die Feindſchaft aus?“<lb/>wunderte ſich Vronke, aber Aleid antwortete nicht,<lb/>ſie mußte ſchon eingeſchlafen ſein.<lb/>
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            <p> <lb/>Der nächſte Morgen verſprach einen ſonnigen<lb/>Herbſttag; als die Uhr des Dorfes Neun ſchlug,<lb/>kam Aleid in einem dunklen Anzug in die Küche,<lb/>wärmte ihre Lederſchuhe auf der Feuerkieke und<lb/>zog ſie an.<lb/>
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            <p> <lb/>„Willſt Du ſchon fort?“ fragte die Schweſter.<lb/>
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            <p> <lb/>Vater zurückkehrt vom Felde, ſonſt befiehlt er mir,<lb/>was ich ſagen ſoll oben in der Burg.<lb/>
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            <p> <lb/>„Wie Du meinſt!“ ſagte Vronke mit dem<lb/>Tone, als hieße es eigentlich: Was hilft's, wenn<lb/>ich gegen Deine Unvernunft rede ?<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid ſchürzte den Rock ihres Kleides empor,<lb/>ging am Hauſe entlang durch den großen Gemüſe-<lb/>garten, ſtieg behende über das Geländer von tüch-<lb/>tigen Eichenplanken und folgte einem Fußpfad,<lb/>der zum Sternbuſch führte, anfangs laufend, dann<lb/>langſamer. „Er iſt gewiß bei den Kramsvögeln,“<lb/>murmelte ſie, „wie oft bin ich, als ich ein Kind<lb/>war, vom Haus fortgelaufen, wie heute, um ihn<lb/>zu begleiten!“<lb/>
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            <p> <lb/>Nicht lange, ſo ſtand Aleid's kräftige Geſtalt<lb/>inmitten des Sternes und ſpähte die Alleen her-<lb/>unter. „Richtig, da iſt er!“ rief ſie dann und<lb/>lief, der angedeuteten Richtung folgend, auf dem<lb/>feuchten Mooſe eine der Alleen hinab. Der Frei-<lb/>herr blieb ſtehen und faßte nach ſeiner Pelz-<lb/>kappe.<lb/>
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            <p> <lb/>„Kennt Ihr mich noch, Herr? Ich bin die<lb/>kleine Aleid von Tangen, die vor Jahren alle<lb/>Tage mit Euch zu den Kramsſtricken ging.“<lb/>
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            <p> <lb/>Obwohl Du ſo groß geworden biſt wie ein Mann,<lb/>haſt Du doch noch daſſelbe Kindergeſicht!“<lb/>
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            <p> <lb/>Die Augen des alten Herrn ruhten auf den<lb/>lebendigen Zügen des Mädchens. „So, und Dein<lb/>Vater ſchickt Dich?“<lb/>
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            <p> <lb/>„O Herr,“ rief Aleid, zwiſchen den Taxushecken<lb/>ſtehen bleibend und des Freiherrn Hand erfaſſend,<lb/>,,nicht wahr, Ihr tragt es dem Vater nicht nach,<lb/>daß er ſo oft gegen Euch iſt? Wahrhaftig, Herr,<lb/>es hat mir manchmal das Herz umgedreht, wenn<lb/>ich dachte, Ihr hättet Niemanden auf der Welt<lb/>und wäret ſo gut, daß die Leute keine Angſt vor<lb/>Euch haben!“<lb/>
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            <p> <lb/>ſcherzte er, „gegen mich waren Sie geſtern ſpröde<lb/>und in aller Früh heute, Hand in Hand mit dem<lb/>Oheim im Garten? Wie ich den alten Herrn be-<lb/>neidete – aber ich weiß, Sie werden auch mir<lb/>dieſe Hand nicht entziehen, Sie ſind ein ſo hüb-<lb/>ſches, kluges Mädchen, daß –“<lb/>
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            <p> <lb/>Eine unſägliche Verachtung lag in Aleid's Zü-<lb/>gen. „So, dann müßte ich den Onkel heirathen?“<lb/>ſagte ſie, „o, ich heirathe ihn tauſendmal lieber,<lb/>den guten Herrn, als daß ich mich von Euch, Ihr<lb/>Erbſchleicher, Ihr Heuchler, Ihr alberner Geck,<lb/>berühren laſſe! – Sagt Ihr den Leuten, was<lb/>Ihr wollt, Aleid von Tangen nimmt es mit Euch<lb/>auf, und ſeht, wenn der alte Herr ſagte: „Aleid,<lb/>heirathe mich, damit die ſchlechten Vettern nicht<lb/>mit ihren böſen Abſichten zu Stande kommen“ –<lb/>ſeht Ihr, feiner Herr, ich nähme ihn, er kommt<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student ermangelte nicht bei Rolf Poppe<lb/>den erwünſchten Winterrock zu kaufen, aber nach-<lb/>dem Beide, was nicht ſchwierig war, handelseinig<lb/>wurden, hatten ſie noch eine lange, halblaute<lb/>Unterhaltung, in welcher der Käufer den jungen<lb/>Mann ermunterte nach der Hand der ſchönen<lb/>Aleid von Tangen zu ſtreben. Rolf ſah keinen<lb/>Weg, obwohl ihm Aleid offenbar nicht abgeneigt<lb/>war, ſie zu einem ſolchen Entſchluß zu überreden,<lb/>und bei dem Vater ward die Einwilligung ge-<lb/>radezu zur Unmöglichkeit, denn ſein Stolz war<lb/>noch größer, als der ſeiner hübſchen und reichen<lb/>Tochter.<lb/>
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            <p> <lb/>Rolf lächelte ungläubig, indem er ſeine Woll-<lb/>ſtoffe in die ſchützende graue Leinwand einſchlug:<lb/>„Und was räthſt Du mir, das ich thun ſoll, um<lb/>Aleid zu gewinnen?“ fragte er leicht hin.<lb/>
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            <p> <lb/>„Du freiſt um die Lisbeth Wiebrinke !“<lb/>
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            <p> <lb/>„Schöner Rath das – aber Lisbeth iſt häß-<lb/>lich, ſie gefällt mir nicht.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Eben deshalb, ſie wird endlich mit irgend<lb/>einer Frage oder einem Einkauf zu Dir kommen,<lb/>dann ſagſt Du ihr, das Leben wäre Dir zuwider,<lb/>Du wollteſt nach Amerika.“ –<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein, das ſage ich nicht!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Gut, dann ſagſt Du was Anderes, nur muß<lb/>der Schluß die Frage ſein, ob ſie Dir oder ihrem<lb/>Stolze folgen will, ob ſie das Gerede der Leute<lb/>über Dein Glück ſtellt ! Sie thut lieber Das, was<lb/>ſie nicht ſoll, als Das, was man von ihr vor-<lb/>ausſetzt.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, ja“ – ſagte Rolf, „das iſt Alles ganz<lb/>gut, aber ich ſehe nicht ein, daß das dem Alten<lb/>ſo an's Herz geht, wie möglicher Weiſe der<lb/>Tochter !“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, ja, da hätte ich eine Staatsfrau und ſie<lb/>würde enterbt; nein, Student, eine Frau von<lb/>Bauern-Adel kann ich nicht ohne Ausſteuer und<lb/>Eingebrachtes nehmen.“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student tupfte mit ſeinen haarigen Fin-<lb/>gern auf der Rolle Winterſtoff umher und ent-<lb/>gegnete: „Sieh, ſo habe ich an dem Gewiſſen des<lb/>Alten herumgeſucht, fingerbreit vor fingerbreit,<lb/>ehe ich die Stelle fand, wo es ihm weh thut!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nun und jetzt?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Jetzt weiß ich ſie, bis Du fertig biſt, habe<lb/>ich's ganz heraus. Weißt Du, Rolf, mach' Dich<lb/>an den Jungen, den Evert, bring' ihm Noten mit,<lb/>wenn Du nach Holland gehſt, erzähle ihm von<lb/>alten Zeiten und laß ihn reden, damit er vor ſei-<lb/>ner Schweſter oft von Dir ſpricht !“<lb/>
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            <p> <lb/>„Aleid hat's nicht groß auf den Jungen,“<lb/>meinte der Kaufmann, „das wird nichts helfen.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Das wird gerade helfen, wir hören am ge-<lb/>naueſten auf Das, was wir gern oder ſehr un-<lb/>gern hören; ſie wird wild über das Gerede von<lb/>Dir werden, aber der Junge vergißt das in der<lb/>
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            <p> <lb/>nächſten Minute und ſagt heraus, woran er denkt,<lb/>der hat nicht ein bischen Galle in ſich!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja – Alles recht – aber was haſt Du für<lb/>eine Urſach, dem Bauer von Tangen Eins zu ver-<lb/>ſetzen, da Du meine Angelegenheiten kennſt, möchte<lb/>ich die Deinen auch wiſſen!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Daran iſt nicht viel zu wiſſen – ich kann<lb/>die Leute nicht leiden, die ſich klüger dünken, als<lb/>alle Andern und dann –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein – ich habe Niemanden !“ murmelte der<lb/>Student mit einem tiefen Athemzug, griff ſein<lb/>Rockzeug vom Ladentiſch und ſtürzte fort, ſeiner<lb/>engen, ſchmutzigen Kammer zu.<lb/>
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            <p> <lb/>Roland von Schlump verſtand, nach jener fa-<lb/>talen Scene mit Aleid von Tangen, was denn<lb/>eigentlich die Großen damit meinten, ſein Oheim<lb/>habe keinen Charakter, es hieß einfach: Er war<lb/>bereits ſtumpf! – kein Wunder, daß er in der<lb/>Einſamkeit und dem ewigen Einerlei ſeines Le-<lb/>
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            <p> <lb/>bens früh kindiſch ward. Der junge Herr fand<lb/>es beinah komiſch, daß der Freiherr mit keiner<lb/>Silbe jenes Morgens wieder erwähnte, ja ganz von<lb/>ſelbſt wieder von der Zulage ſprach und ſeine Ein-<lb/>ladung für Roland's Auserwählte wiederholte.<lb/>
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            <p> <lb/>Es wäre lächerlich geweſen, dem kindiſchen<lb/>Oheim dankbar für den Eigenſinn zu ſein, ſeinem<lb/>vortrefflichen Neffen nur eine Zulage und nicht<lb/>ſein halbes Vermögen zuzuſagen, im Ganzen<lb/>ſchrieb er aber den wenn auch verkürzten Erfolg<lb/>ſeiner Reiſe vielmehr der eigenen Liebenswür-<lb/>digkeit, als der Güte des alten Herrn zu. Er<lb/>reiſte ſomit ziemlich zufrieden mit ſich ſelbſt ab;<lb/>die Luft von Dalbrook, die dem Knaben einſt ſo<lb/>frei und luſtig einging, ſchien dem feinem Herrn<lb/>ſchwer und beengend, zudem lockte ihn Nichts das<lb/>Schloß zu verlaſſen –, um etwa die Maſchinen<lb/>des Bauern von Tangen oder ſeine Vorleſungen<lb/>über den einträglichſten Betrieb der Landwirth-<lb/>ſchaft anzuhören.<lb/>
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            <p> <lb/>Der alte Freiherr hatte geſagt: „Nichts bringt<lb/>mich aus meinen Gewohnheiten!“ trotzdem ſchien<lb/>es, als ob er mit ſeinen Gewohnheiten ein wenig<lb/>in's Schwanken gekommen wäre; er verließ ſein<lb/>Zimmer zu ungewöhnlichen Stunden, er ſtand hier<lb/>
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            <p> <lb/>und da gleichſam in Gedanken verloren, er ver-<lb/>gaß die alte lauttickende Uhr aufzuziehen – kurz,<lb/>Mamſell Brunnel und der alte Lucas, die eigent-<lb/>lich nie Freunde geweſen waren, theilten ſich in's<lb/>Geheim die befremdendſten Wahrnehmungen mit –<lb/>Roland hatte eine Hand voll Schnee auf's Dach<lb/>der ſtillen Burg geworfen und ſie rollte und rollte,<lb/>ward größer und größer. Die Bewohner fühlten<lb/>den Luftdruck, aber hätten ſie auch wirklich von<lb/>Lawinen erzählen hören, ſo würden ſie lächelnd<lb/>geſagt haben: „Es wird keine Lawine zu uns<lb/>kommen – weil nie eine da war!“<lb/>
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            <p> <lb/>Es ward ſchon erwähnt, daß der Student eine<lb/>enge und ſchmutzige Kammer im Dorfe bewohnte,<lb/>und doch richteten ſich, Abend für Abend, zwei<lb/>dunkle, halb verſchleierte Augen auf die blinden<lb/>Fenſter dieſes Kämmerleins, um zu erſpähen, ob<lb/>Licht darin angezündet – oder beſſer, ob ihr ja-<lb/>gender und ſchnapſender Inſaſſe, der Student,<lb/>Soldat, Muſikant u. ſ. w. daheim ſei. Dieſe<lb/>dunklen Augen gehörten Evert von Tangen an<lb/>und wenn ſie eine matte Helle wahrnahmen, ſo<lb/>ſteckte der junge Mann ſeine Violine unter das<lb/>Wams, drückte ſeine Mütze auf die dunklen,<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich kann Dich heute nicht unterrichten!“ war<lb/>gewöhnlich die Anrede, aber Evert legte ruhig<lb/>ſeine Geige an, ſchob die Noten in den engen<lb/>Lichtkreis der Thranlampe, die an einer Kette von<lb/>grünen Weidenzweigen, welche der Erbe zu dieſem<lb/>Zweck verfertigt und geſtiftet hatte, hing, und<lb/>fing an zu ſpielen. Nach und nach erwachte der<lb/>Student aus ſeiner Apathie, er warf dieſe und<lb/>jene Bemerkung in das Spiel, fluchte über unreine<lb/>Töne und nahm endlich ſelbſt das Inſtrument<lb/>und geigte tapfer drauf los, bis er allmählich<lb/>klarer und ruhiger ausſah, in bekannte Weiſen<lb/>überging und endlich ſagte: „Nun Junge, erzähl'<lb/>mir was!“<lb/>
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            <p> <lb/>Das war denn eines Abends auch ſo gegangen.<lb/>Jetzt war es bereits Winter und ein Glück, daß<lb/>der Student den warmen Rock nebſt Zubehör<lb/>hatte, denn der alte Baron äußerte, als ihm der<lb/>Student die Rechnung für den Rock brachte: „Ich<lb/>dächte doch, ich hätte Anzug geſagt!“ – So war<lb/>es denn ein Anzug, der der Winterkälte behaglich<lb/>widerſtand, in welchem der Student auf dem<lb/>Rande ſeiner Wandbettſtelle ſaß, die Geige auf<lb/>
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            <p> <lb/>einen dreibeinigen Binſenſtuhl legte, ſich herzhaft<lb/>dehnte und ſagte: „Nun, Junge, erzähle mir<lb/>was !“<lb/>
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            <p> <lb/>Evert, der auf einer alten Holzkiſte ſaß, fuhr<lb/>empor und erwiederte: „Ja, Student, ich weiß<lb/>auch was – Aleid geht aus dem Hauſe!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Sie heirathet den alten Herrn, den Baron von<lb/>Schlump. Ihr wißt, ſie dachte viel an altes Blut<lb/>und an Stand – wenn ſie fort iſt, kann ich geigen<lb/>ſo viel ich will!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student gab ſeinem ſchnarchenden Hund<lb/>einen furchtbaren und ſcheinbar ganz unmotivirten<lb/>Fußtritt und rannte im wahren Sinne des Wortes<lb/>mit dem Kopf gegen die Wand, deren verräucherte<lb/>Kalktünche raſſelnd zu Boden fiel in Folge des<lb/>Anpralls. Dann plötzlich beſann er ſich und fing<lb/>laut an zu lachen: „Ha – ha – ha! Na, wer<lb/>weiß, ob mein Zweck ſo nicht ſchneller erreicht<lb/>wird – mühe ich mich, Leute thöricht zu machen,<lb/>die ärgere Narren ſind, als ich es berechnete –!<lb/>
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            <p> <lb/>Ha! ha! ha ! Um den Alten thut's mir aber doch<lb/>leid, wahrhaftig!“<lb/>
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            <p> <lb/>Evert ſchien die Gefühlsausbrüche ſeines Leh-<lb/>rers gewohnt zu ſein; er nahm keine Rückſicht auf<lb/>dieſelben und ſagte nur: „Das hätte ich bald ver-<lb/>geſſen, unſere Vronke will zu Sonntag zwei Haſen<lb/>haben, der Herr und die aus der Paſtorat kom-<lb/>men zu Mittag.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Soll ſie haben – ſoll ſie haben – aber mich<lb/>durſtet entſetzlich auf den Schrecken – mach' daß<lb/>Du zu Haus kommſt, Junge.“<lb/>
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            <p> <lb/>Evert ging. Die Familie von Tangen ſaß an<lb/>dem erwähnten Abend, minder geſprächig als ſonſt,<lb/>um das gemüthlich brennende Feuer des Herdes<lb/>gereiht, Aleid's Nadel ruhte alle Augenblick, Vronke<lb/>und die Tante ſchnitten von dicken flachsduftenden<lb/>Leinwandrollen, halblaut überlegend, eine Elle nach<lb/>der andern ab, Tangen, der Vater, ging auf und<lb/>nieder, zuweilen blieb er, wie prüfend, vor Aleid<lb/>ſtehen, dann ging er weiter. Endlich ſagte er:<lb/>„Gut iſt er und reich und vornehm – aber alt,<lb/>Kind!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Was überlegt Ihr noch?“ rief Aleid kurz und<lb/>heftig, „ich habe es geſagt und werde es thun, ich<lb/>
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            <p> <lb/>offnes Zeitungsblatt hin – „und hier noch eine<lb/>Nachricht für Euch und – mich – nein, nicht<lb/>etwa die Verlobungsanzeige von Euch mit dem<lb/>Freiherrn, es ſteht unter den Schiffsnachrichten,<lb/>hört: „Die Kuff Geſina, Ladung Senfſamen, be-<lb/>ſtimmt von Harlem nach Emden, Capitän Albert<lb/>Poppe, iſt unweit Bockum auf die Riffe verſchlagen<lb/>und geſcheitert – man weiß nicht, ob die Mann-<lb/>ſchaft gerettet iſt.“ –<lb/>
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            <p> <lb/>Dieſer Troſtgrund ſchien Lisbeth weſentlich<lb/>aufzurichten: „Ich denke doch, er iſt todt!“ ſagte<lb/>ſie mit einer Stimme, die in der That mehr den<lb/>Tod des Freiers, als das Leben des verſchmähen-<lb/>den Geliebten zu wünſchen ſchien – möglich, daß<lb/>Lisbeth Erfahrungen über die Wandelbarkeit der<lb/>Männerherzen gemacht hatte. Lisbeth war ge-<lb/>faßter und ſagte ihrer Freundin mit den Worten<lb/>„Gute Nacht!“ „O, ich wußte ſchon, Du kannſt<lb/>mit Allem fertig werden, Du konnteſt mich ruhig<lb/>
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            <p> <lb/>machen, denn Du machſt es mit anderen Leuten,<lb/>wie Du willſt.“<lb/>
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            <p> <lb/>Die arme Lisbeth legte keine ſpöttiſche Bezie-<lb/>hung in ihre Worte, die Mädchen waren eben<lb/>norddeutſche Bäuerinnen, die von penſionärlicher<lb/>Sentimentalität nichts wußten.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Bauer von Tangen hatte den größten<lb/>Theil ſeiner Maſchinen ſo eingerichtet, daß ſie<lb/>durch ein oder mehrere Pferde, je nach ihrem<lb/>Zweck, getrieben wurden; der Querbalken an den<lb/>das Thier geſpannt wurde, und das Kammrad,<lb/>das oberhalb deſſelben an der aufrechtſtehenden<lb/>Achſe angebracht war, blieben ſtets dieſelben, aber<lb/>ihre Kraft ward zum Buttern, zum Heckerling-<lb/>ſchneiden, zum Dreſchen u. ſ. w. verſchiedenfach<lb/>benutzt. Als Aleid zurückkam, ging ſie nicht in's<lb/>Haus, ſie ſchlich in den dunkeln Raum, den das<lb/>Pferd ſo viel tauſend und abertauſendmal um-<lb/>gangen hatte, ſetzte ſich in die Mitte des von ſei-<lb/>nen Hufen ausgetretenen Kreiſes und legte den<lb/>Kopf mit den verwehten blonden, leicht gekräuſten<lb/>Haaren an die Achſe. Hätte Tangen ſie ſehen<lb/>oder beſſer verſtehen können, wie ſie ſo da ſaß –<lb/>er würde künftig nicht mehr ſo ſtolz und ſelbſt-<lb/>bewußt ſeine Einrichtungen gezeigt haben, ſondern<lb/>
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            <p> <lb/>mit geheimen Grauſen einen Fleck betreten, wo<lb/>ſein Kind einen lautloſen aber furchtbaren Kampf<lb/>kämpfte, für „die Sünden der Väter! den Erb-<lb/>hochmuth, den Erbtrotz, die Erbeitelkeit!“ –<lb/>
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            <p> <lb/>Die Erbeitelkeit hatte Aleid's Augen auf den<lb/>hübſcheſten und gewandteſten Burſchen der Umge-<lb/>gend gezogen, der Hochmuth hatte ſie von Rolf<lb/>getrennt und Lisbeth's Reden hatten den Trotz,<lb/>den raſendſten Trotz geweckt, der nun mit dem<lb/>Erbtheil jeder echten Evatochter, einer tiefen Liebe,<lb/>rang.<lb/>
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            <p> <lb/>Aber, wie ſchon geſagt, ein norddeutſches<lb/>Bauernmädchen wird nicht zu Schwärmerei und<lb/>Gefühlsſeligkeiten erzogen, und je bevorzugter<lb/>ihre Stellung iſt, deſto gefaßter und gemäßigter<lb/>ſchreitet ſie einher vor den Augen Anderer.<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid mußte den Schrei ihres Innern betäu-<lb/>ben, ſie erſtickte ihre Seufzer, indem ſie ihre wei-<lb/>ßen, geſunden Zähne in ihren vollen Arm grub,<lb/>ſie zwang ihren keuchenden Athem ihr das Herz<lb/>nicht zu zerſprengen, ſie ſchlug kraftlos zur Erde<lb/>nieder, um ſich mit den Worten: „Ich will!“<lb/>wieder aufzurichten und ſtraff und die zitternden<lb/>Glieder gewaltſam geſpannt, da zu ſtehen.<lb/>
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            <p> <lb/>Als Aleid wieder in die Küche trat, war nur<lb/>
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            <p> <lb/>noch Vronke auf, ſie fragte die heimkehrende<lb/>Schweſter nichts, ſondern verriegelte die Haus-<lb/>thür und ſchritt ihr mit der Lampe voran die<lb/>Stufen zur Aufkammer empor, wo ſich Beide ge-<lb/>räuſchlos entkleideten und die Lampe auslöſchten.<lb/>
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            <p> <lb/>„Mein Gott, wie kalt biſt Du“ – flüſterte<lb/>Vronke – „es iſt, als läge neben mir eine Leiche.<lb/>Soll ich Dir nicht etwas Warmes holen?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein, Veronika, es hilft nichts, ich bin innen<lb/>und außen ſo kalt und kann auch nicht wieder<lb/>warm werden!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Was dachteſt Du?“ fragte Aleid heftig.<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid ſchwieg einige Secunden: „Gereuen?<lb/>Mußte ich denn nicht etwas zwiſchen Rolf und<lb/>mich ſtellen, das Niemand umſtoßen konnte?<lb/>Jetzt ſteht der Tod zwiſchen uns – und noch ein<lb/>Anderes – jetzt werde ich den Herrn nehmen –<lb/>es iſt ja doch einerlei, wo ich elend bin.“<lb/>
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            <p> <lb/>Vronke ſchwieg, ſie ſchluchzte nicht, obwohl ihr<lb/>die Thränen über's Geſicht liefen – Aleid ſollte<lb/>es nicht merken. Nach einer langen Pauſe ſtreckte<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid die Hand aus und fragte: „Schläfſt Du?<lb/>fühl' meine Hand, ſie iſt wie ohne Leben! –<lb/>Deine Augen ſind naß? – Warte mit dem Wei-<lb/>nen bis ich todt bin!“<lb/>
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            <p> <lb/>Am nächſten Morgen ſtand Veronika leiſe auf,<lb/>denn Aleid ſchlief noch mit ſchweren Athemzügen,<lb/>und ging an ihre Arbeit mit den Mägden des<lb/>Hauſes, nach und nach ſammelten ſich auch die<lb/>Knechte zum gemeinſamen Morgengebet und dem<lb/>Frühſtück. Aleid ſchlief noch. Als man eben den<lb/>Frühſtückstiſch verlaſſen wollte, kam durch den<lb/>Morgennebel eine Geſtalt auf den Tangenhof und<lb/>flog mehr als ſie ging in die Küche – es war<lb/>Lisbeth Wiebrink: „Wo iſt Aleid?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Was giebt's Lisbeth?“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Freiherr Caspar Adrian von Schlump<lb/>hatte ſeit Jahren nicht ſo viele Briefe geſchrieben,<lb/>als in den letzten Tagen; dieſe Briefe zeigten alle<lb/>daſſelbe Format, dieſelben ſteifen Schriftzüge,<lb/>dieſelbe Länge – was auch ganz erklärlich war,<lb/>da in allen, mit wenig Veränderung, daſſelbe<lb/>
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            <p> <lb/>ſtand, nämlich eine Einladung des alten Herrn<lb/>zu ſeiner Hochzeit mit der Tochter des Hofbe-<lb/>ſitzers Hermanton von Tangen; wäre der alte<lb/>Herr überhaupt einer Ironie fähig geweſen, ſo<lb/>hätte der Schluß ſeiner Briefe als eine ſolche ge-<lb/>deutet werden können: „Man hat mich überzeugt,<lb/>daß bei einer gleichmäßigen Vertheilung meiner<lb/>Erbſchaft auf den Einzelnen nur Unbedeutendes<lb/>fallen kann, ſo wird es Euch keine Enttäuſchung<lb/>ſein, wenn dieſer Antheil einer achtungswerthen<lb/>Pflegerin meines Alters zugewandt wird. Ich<lb/>zeige Euch Dieſes an, weil ich, ſo lange ich den-<lb/>ken kann, meine Handlungen ſtets offen und frei<lb/>gethan und vertreten habe.“ – Es war dieſe<lb/>Mittheilung einfach was ſie ausſprach, eine Recht-<lb/>fertigung oder Darlegung. Der alte Herr war<lb/>ſo wenig im Stande ſeine Formen und Gewohn-<lb/>heiten zu verleugnen, daß er nach ſeinem Verlöb-<lb/>niß ganz in der alten väterlichen Weiſe mit Aleid<lb/>umging, wie vorher, wie denn überhaupt die Sitte<lb/>des Emslandes große Zurückhaltung im Umgang<lb/>zwiſchen Männern und Frauen gebietet; das Ver-<lb/>löbniß wird erſt von dem Augenblick an ausge-<lb/>ſprochen, wo die Ehepacten, in der ſogenannten<lb/>Verſchreibung, feſtgeſetzt werden. Lucas hatte die<lb/>
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            <p> <lb/>vielen Briefe ſeines Herrn ſelbſt zur Poſt getra-<lb/>gen und ſich, wie es ihm befohlen war, überzeugt,<lb/>daß der Poſtexpedient ſie alle, mitſammt ihren<lb/>großen rothen Siegeln, in die Poſttaſche geſteckt<lb/>hatte und der Schwager, im rothen Rock, dieſe<lb/>Poſttaſche in die gelbe Poſtkutſche verſchloß und<lb/>dann zur Erheiterung des ganzen Dorfes, als er<lb/>davon fuhr, blies: „Du biſt der beſte Bruder<lb/>auch nicht!“<lb/>
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            <p> <lb/>Als Lucas zurückging geſellte ſich Vronke von<lb/>Tangen zu ihm, welche mit dem Baron zu ſprechen<lb/>hatte, und ſie erfuhr denn auch, daß die Briefe<lb/>fort ſeien, Lucas ſuchte zugleich liſtig aus ihr<lb/>herauszubringen, ob Mamſell Brunnel in der Burg<lb/>bleiben werde, oder eine Penſion beziehen ſolle –<lb/>natürlich war Mamſell Brunnel ſehr unzufrieden<lb/>mit ihres Herrn Heirath, indeß Lucas, aus Ob-<lb/>ſtination, für dieſelbe geſtimmt war!<lb/>
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            <p> <lb/>Vronke traf den Baron neben dem Kamin, zu<lb/>ſeinen Füßen die Hunde, die nicht ſäumten, den<lb/>Gaſt freundlich zu umwedeln, denn gute und ſanfte<lb/>Menſchen werden von Thieren leicht geliebt und<lb/>mit Dankbarkeit belohnt.<lb/>
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            <p> <lb/>„Nun, mein Kind“, fragte der Baron freund-<lb/>lich – „was treibt Dich her? Sieh, hier habe<lb/>
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            <p> <lb/>ich die Kette und die Uhr meiner verſtorbenen<lb/>Mutter, glaubſt Du, daß ſie Deiner Schweſter<lb/>Freude machen werden, Veronika?“<lb/>
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            <p> <lb/>Das Mädchen erröthete tief, ihre Lippen zitterten<lb/>und ihre Augen füllten ſich mit Thränen: „Lieber<lb/>Herr,“ ſagte ſie unſicher, „ich bin bange, wir<lb/>haben uns in Adelheid geirrt, dieſe Sachen und<lb/>die ganze Heirath beſorge ich, machen ihr keine<lb/>Freude!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Freiherr machte ſehr erſtaunte Augen,<lb/>beſann ſich und entgegnete: „Ich bin wohl nicht<lb/>jung mehr, aber was ihr immer Vergnügen macht,<lb/>das ſoll ſie haben, ſie iſt ein gutes Kind!“<lb/>
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            <p> <lb/>„O, das iſt ſie, Herr, und wenn dies Andere<lb/>nicht wäre, das ihr ſo viel Herzleid macht, es wäre<lb/>Alles gut, aber, aber – ſeid nicht böſe, lieber Herr<lb/>– ſie hat den Rolf Poppe lieb und da ſie ein-<lb/>ſah, es ging nicht mit ihm, dachte ſie eine recht-<lb/>ſchaffene Heirath dazwiſchen zu ſetzen – nun hat<lb/>ſie wohl den Rolf, von dem man ſagte, er ſei er-<lb/>trunken, aufgegeben, aber – Vronke's Thränen<lb/>ſtürzten unaufhaltſam –„wenn Ihr ſie nicht frei-<lb/>gebt, Herr, ſo ſtirbt ſie!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Da ſei Gott vor!“ entgegnete der Baron, mit<lb/>ein wenig raſcherer Betonung als ſonſt, fuhr dann<lb/>
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            <p> <lb/>aber ganz ruhig fort: „Sag' mir aber, wie wir<lb/>es anfangen, meine Briefe zurück zu erhalten?<lb/>Ich fürchte doch, mein Kind, Adelheid wird ſich<lb/>darin finden müſſen auf die Burg zu kommen,<lb/>und glaube nur, ſie wird ſich auch gewöhnen,<lb/>junge Leute ſtellen ſich ſolche Dinge gefährlicher<lb/>vor als ſie ſind – das vergißt ſich!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Herr,“ ſagte Vronke, angſtvoll ihre Hände<lb/>faltend – „wenn es Euch einerlei wäre, ich bin<lb/>wohl nicht ſo hübſch als meine Schweſter, aber die<lb/>Mitgift und Geſchicklichkeit im Hauſe iſt dieſelbe,<lb/>ſo –“<lb/>
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            <p> <lb/>zweite, dritte, eine ganze Kette von Nachwirkungen<lb/>bis auf das Aufſteigen der Stäubchen hinab, die<lb/>durch die Lufterſchütterung emporgehoben werden;<lb/>mit dem beſten Willen laſſen ſich die Ereigniſſe<lb/>nicht ſo ganz nach unſerem Willen an einander-<lb/>paſſen, das mochte der alte Herr fühlen, weil er<lb/>noch ſelben Tages den alten Lucas in's Dorf<lb/>ſchickte mit dem Wunſche ſeinerſeits betraut, „die<lb/>Verſchreibung ſollte möglichſt bald ſtattfinden.“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Bauer von Tangen, an den dieſe Bot-<lb/>ſchaft ging, war in Folge von Vronke’s Mit-<lb/>theilung, nicht in der beſten Laune; er ließ zurück-<lb/>ſagen: „Es bliebe bei Montag über acht Tage!“<lb/>Es war auf dem Tangen'ſchen Hofe ſehr übles<lb/>Wetter, abgeſehen von der Temperatur draußen,<lb/>die ſich mit glühendem Abendroth einem tüchtigen<lb/>Froſtwetter zuneigte. Der Bauer, ſo unabhängig<lb/>er ſich gern darſtellte, malte ſich in den grellſten<lb/>Farben aus, was man darüber ſagen würde, daß<lb/>nun die Aeltere ſtatt der Jüngeren heirathe –<lb/>doch das mochte noch ſo hingehen, die Heirath war<lb/>vor den Leuten nur noch ein Gerücht, aber Vronke<lb/>wußte ſich nicht zu benehmen, die Schlump’ſchen<lb/>Verwandten konnten nie von ihr ſagen: „Man<lb/>ſieht gleich, daß ſie von gutem Herkommen iſt,<lb/>
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            <p> <lb/>ſeiner Promenade ab und dann, als er wirklich<lb/>kam, nahm ſie ſeine Hand in ihre zitternden<lb/>Hände und ſagte Alles, was geſchehen war: „Ich<lb/>bitte Euch, Herr, wie ſoll es nun werden?“ ſchloß<lb/>ſie. „Aleid iſt Euch lieber, und die Schwachheit<lb/>wird ihr jetzt nicht wiederkommen!“<lb/>
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            <p> <lb/>aber die Wirkung blieb dieſelbe, die junge<lb/>Bäuerin riß ſich ſchleunig los und rannte mit<lb/>klopfendem Herzen zu Haus, immer den Ring in<lb/>die Hand gequetſcht. Als ſie endlich beim Licht-<lb/>ſchein die Hand verſtohlen öffnete, um hinein zu<lb/>ſehen, funkelte es ſonderbar licht in derſelben,<lb/>denn der Ring hatte einen Stein ſo hell wie<lb/>Waſſer und ſo ſcharf blitzend wie Sonnenſtrahlen;<lb/>Vronke dachte, daß ihn die Mutter und der Herr<lb/>getragen hätten und ſchob ihn vorſichtig an den<lb/>Finger – immer tiefer – immer tiefer – da<lb/>ſaß er – richtig, ſie war ſeine Braut. Als ſich<lb/>Veronika darüber klar wurde – ſie dachte lange<lb/>und tief nach – da ward ſie auch ſicher und ge-<lb/>faßt, ſie trat von dem Lichtſchein des Fenſters,<lb/>vor dem ſie geſtanden hatte, zurück und öffnete<lb/>energiſch die Thür ihres Vaterhauſes. „Nun,“<lb/>rief Aleid heftig, „biſt Du wieder zu ihm gelau-<lb/>fen, damit Dich Niemand verdrängt?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Mich kann Niemand verdrängen!“ ſagte Ve-<lb/>ronika ruhig und ſtreckte die Hand mit dem Ringe<lb/>aus, der Schweſter entgegen. –<lb/>
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            <p> <lb/>Rolf Poppe war gleich nach ſeiner Rückkehr<lb/>zornig nach dem Studenten geeilt, der noch<lb/>
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            <p> <lb/>im Bette lag, um ihn wegen Aleid's Verlobung<lb/>zur Rede zu ſtellen, der Student aber lachte in<lb/>ſeiner rückſichtsloſen Art und ſagte: „Du hatteſt<lb/>für das Mädchen einzuſtehen, ich für den Alten<lb/>und der entgeht mir nicht, thu' Du, was Dir gut<lb/>ſcheint, wenn ich Dir aber rathen ſoll, ſei nicht<lb/>zu freundlich gegen die Tochter!“ – damit drehte<lb/>er ſich um und ſchlief weiter.<lb/>
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            <p> <lb/>Rolf Poppe dachte aber, er verſtehe das ganz<lb/>ſo gut als der Student und ging, es war eine<lb/>Stunde vor Mittag, geradeswegs auf den Tangen-<lb/>hof, wo er Aleid und die Tante allein traf, denn<lb/>Vronke war oben auf der Burg, um das Verlöb-<lb/>niß auf ſich herüber zu ziehen. Aleid war ſehr<lb/>gemeſſen gegen den vom Tode Erſtandenen, ſie<lb/>fühlte ſich, noch ganz ahnungslos, als künftige<lb/>Burgfrau und Lisbeth's Mittheilungen bohrten<lb/>noch mit dem Dornen der Eiferſucht in ihrem<lb/>Herzen! – Rolf erzählte von ſeiner Reiſe, als<lb/>ſich die Thür öffnete und Wiebrink herein trat,<lb/>wie er ſagte, „ein wenig mit zuzuhören.“ Als<lb/>Alles geſagt und gefragt war, bemerkte Wiebrink<lb/>ganz wohlgemuth: „Wenn Du vielleicht von Haus<lb/>zu Haus gehſt, Rolf Poppe, Deine Reiſe zu er-<lb/>zählen, ſo will ich Dich nicht damit aufhalten, zu<lb/>
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            <p> <lb/>uns zu kommen, ich werde ſchon Alles für Dich<lb/>ausrichten.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Die Lisbeth würde es doch gern hören, Oh<lb/>Wiebrink!“ rief Aleid haſtig.<lb/>
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            <p> <lb/>„Die Lisbeth meint“ – Wiebrink rauchte ſeine<lb/>Pfeife inzwiſchen an – „Neuigkeiten, welche An-<lb/>dere ſchon wüßten, wären keine mehr. – Adje<lb/>mit einander!“<lb/>
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            <p> <lb/>Rolf Poppe zog ſehr betreten ab, er merkte,<lb/>er habe ſich zwiſchen zwei Stühle geſetzt, und doch<lb/>Aleid's Augen ſagten Etwas, das die Lippen nie,<lb/>nie verrathen hätten, wie konnte ſie auch an Jemand<lb/>denken, den Lisbeth Wiebrink ſo ſchnöde abge-<lb/>gewieſen hatte?<lb/>
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            <p> <lb/>Es ſchien Alles ſo ganz gleich geblieben im<lb/>Dorfe, und doch war Alles ſo anders! Auf der<lb/>Burg, bei Tangens, beim Studenten, bei Wie-<lb/>brinks, ja ſogar bei Twickers war es anders. Vater<lb/>Twicker hatte nämlich den guten Moment benutzt,<lb/>wo Lisbeth Wiebrink in heftiger Eiferſucht auf<lb/>Aleid Rolf abgewieſen hatte – es waren ihr näm-<lb/>lich Aleid's Reden nachträglich klar und verſtänd-<lb/>lich geworden, als ſie hörte, Rolf ſei zuerſt nach<lb/>Tangens gegangen nach ſeiner Auferſtehung und<lb/>ſie kam jeder neuen Annäherung zuvor! – dieſen<lb/>
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            <p> <lb/>Augenblick alſo benutzte Vater Twicker, um für<lb/>ſeinen Aelteſten, ſeinen Anerben, um Lisbeth zu<lb/>werben, den Lisbeth und ſelbſt Wiebrink bisher<lb/>nicht recht annehmbar fanden, das hatte ſich nun<lb/>beſtens geändert; der junge Twicker war plötzlich<lb/>weder ſo häßlich noch ſo einfältig wie früher, der<lb/>Freiwerber ward günſtig aufgenommen und die<lb/>gewöhnlichen Weitläufigkeiten bei einer Bauern-<lb/>verlobung, Bedenkzeit – das Zuratheziehen einer<lb/>Menge Onkels und Tanten rc. rc. – nahmen<lb/>ihren gewöhnlichen Verlauf. Wenn die Twickers<lb/>auch wenig Vermögen hatten, ſo waren ſie doch<lb/>immer Große und daß der Bräutigam eine etwas<lb/>traurige Individualität war, ſtörte die liebe Ver-<lb/>wandtſchaft weiter nicht.<lb/>
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            <p> <lb/>Alles hatte ſich, gleichſam unſichtbar und wie<lb/>von innen heraus verändert, ſelbſt daß der Bauer<lb/>von Tangen in der Gemeindeverſammlung dem<lb/>Baron widerſprach, hatte aufgehört; die Ver-<lb/>ſammlung war am Sonnabend vor dem Montage,<lb/>wo das feierliche Verlöbniß im Tangen'ſchen<lb/>Hauſe ſtatt finden ſollte, man hörte in derſelben<lb/>kein Geſchrei, kein Beſſerwiſſen oder Ueberſtimmen<lb/>– ſolch' ein erhebender Friede war in der Ge-<lb/>meinde, ſeit Tangen Bauer war, nicht geweſen ! –<lb/>
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            <p> <lb/>Eben wollte man die Schule – dort waren die<lb/>Zuſammenkünfte – wie eine Schaar von Frie-<lb/>densgenien, fünfzehn Herzen und ein Schlag,<lb/>verlaſſen, da ward die Thür aufgeriſſen, vor den<lb/>würdigen Vätern der Commune erſchien das<lb/>leichenblaſſe Antlitz Aleid's, ſie fuhr ziellos mit<lb/>den Händen in die Luft, ihre Haare flatterten in<lb/>dem ſcharfen Froſtwinde, es hatte die ganze Woche<lb/>gefroren, ſie rang ein paar Mal nach ihrer<lb/>Stimme! endlich ſtieß ſie hervor: „Vater –<lb/>unſer Evert!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Was iſt mit Evert?“ fragte erblaſſend der<lb/>Bauer.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ertrunken!“ zitterte es von Aleid's Lippen<lb/>und ſie ſelbſt ſtützte ſich faſt ohne Bewußtſein an<lb/>Wiebrink. Jetzt kam auch Rolf Poppe daher:<lb/>„Bauer,“ ſagte er, „wir haben nach dem Doctor<lb/>geſchickt, der Student meint, er lebt noch, er fiel<lb/>durch's Eis, der Student zog ihn heraus, jetzt iſt<lb/>er auf Euren Hof gebracht!“<lb/>
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            <p> <lb/>Twicker ſtützte den Bauer von Tangen, hinter<lb/>Beiden ſchritt der Baron, dann Wiebrink und<lb/>Aleid, endlich dte übrigen Gemeindemitglieder, die<lb/>noch von dem Pfarrer eingeholt wurden, der im<lb/>Talar daher kam, ſobald er von dem Unglück ge-<lb/>
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            <p> <lb/>hört hatte. Der Klang der eilenden Schritte auf<lb/>dem gefrorenen Boden ward ſelten durch ein halb-<lb/>lautes Wort unterbrochen; das eigenthümliche, ver-<lb/>ſchloſſene Naturell des nordweſtlichen Deutſchlands,<lb/>die Racehaltung dieſes Stammes, machte ſich ſelbſt<lb/>bei dem ſonſt wortreichen Tangen fühlbar, er ſchritt<lb/>wie in Gedanken fort und hatte nun auch ſchon<lb/>Twicker's Arm wieder losgelaſſen. Die Küche des<lb/>Tangen-Hauſes füllte ſich, als ob ein Rauch<lb/>hinein gedrungen wäre, ſo geräuſchlos mit den<lb/>Männern; in der Kammerthür ſtand Vronke,<lb/>welche eine dampfende Schaale in der Hand trug:<lb/>„Vater! Vater!“ – ſagte die zweite Martha tief<lb/>traurig und reichte die Schaale dem Studenten,<lb/>dann ergriff ſie die Hand des Barons und blickte<lb/>ihm in die Augen: „Was Gott thut, iſt wohl-<lb/>gethan!“ ſagte der Freiherr ernſt.<lb/>
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            <p> <lb/>„O, möchte er leben!“ ſeufzte Vronke.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Student war indeß mit allen jenen Hülfs-<lb/>mitteln um den Körper des Knaben beſchäftigt, die<lb/>man im Emslande nur zu oft anzuwenden ge-<lb/>zwungen iſt, die Tante unterſtützte ihn. Als Vronke<lb/>„Vater!“ ſagte, richtete ſich der Student auf, ſtellte<lb/>ſich zwiſchen den Bauern und das Bett, erfaßte mit<lb/>furchtbarem Griff den Kragen des Hausherrn und<lb/>
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            <p> <lb/>flüſterte, zwiſchen den Zähnen pfeifend: „Du nichts-<lb/>würdiger Räuber, wenn er nicht wieder erwacht –<lb/>ſo biſt Du ein Kind des Todes!“ –<lb/>
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            <p> <lb/>Die Bauern blickten ſich befremdet an, der<lb/>Baron aber ſagte: „Beunruhigt Euch nicht, Bauer<lb/>von Tangen, man wird Euch vor dem wilden<lb/>Menſchen ſchützen!“ – Hermanton von Tangen<lb/>ſank auf einen Stuhl und ſchwieg, die Schweſtern<lb/>beſchäftigten ſich um den Lebloſen, man vernahm<lb/>draußen das Geräuſch eines heran galopirenden<lb/>Pferdes – es war der Arzt, der dem Boten zu-<lb/>fällig begegnete. Der Doctor hieß alle Leute, bis<lb/>auf die Tante, den Ertrunkenen zu verlaſſen:<lb/>„Ich gehe nicht,“ ſagte der Student, „ich habe<lb/>das Recht zu bleiben – der Knabe da iſt mein<lb/>Sohn!“ – dabei ſah der Student wie ein Wahn-<lb/>ſinniger umher.<lb/>
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            <p> <lb/>„Student,“ ſagte der Baron ruhig, „es gilt<lb/>ein Menſchenleben, füge Dich in das, was der<lb/>Herr Doctor will!“ – Dabei faßte er leicht die<lb/>Hand des wilden Menſchen, der ſich auch in der<lb/>That folgſam zeigte. Die Bauern traten ausein-<lb/>ander und ließen die Beiden in den freien Raum<lb/>der Küche. „Herr Paſtor,“ ſagte der Baron, „die-<lb/>ſer arme Mann hat mit Ihnen zu reden!“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Pfarrer ging mit dem Studenten in die<lb/>Viſitenſtube.<lb/>
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            <p> <lb/>Die Schweſtern gingen in der Kammer aus<lb/>und ein, herbeibringend, was der Arzt verlangte;<lb/>der Baron hatte zuerſt ſeine Mütze abgenommen<lb/>und war betend niedergekniet, ſeinem Beiſpiel folg-<lb/>ten die Bauern, die Nachbarn und die Dienſtleute<lb/>des Hauſes, welche den Raum der Küche angſtvoll<lb/>aufgeſucht hatten – auf einmal hörte man einen<lb/>halb unterdrückten Schrei, Aleid erſchien auf der<lb/>Schwelle, ſie ſank zu der knienden Menge nieder<lb/>und rief: „Er lebt!“ – Der Baron blickte auf<lb/>und gerade in Vronke's feuchte blaue Augen, ſie<lb/>eilte eben, irgend etwas zu holen, vorüber. Zu-<lb/>gleich ſprang auch dröhnend die Thür der Viſiten-<lb/>ſtube auf, mit ein paar großen Sprüngen ſetzte<lb/>der Student über einige Knieende weg und packte<lb/>noch einmal den Hausherrn: „Haſt Du ihn ge-<lb/>ſtohlen?“ knirſchte er durch die Zähne.<lb/>
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            <p> <lb/>„Bei Gott nicht,“ ſtotterte von Tangen, „ſie,<lb/>die Mutter, hat ihn mir verkauft!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Verkauft ! verkauft!“ ächzte der Student,<lb/>„mein Kind verkauft – verkauft von ſeiner Mut-<lb/>ter ! O, ich wäre ein rechtſchaffner, geachteter<lb/>Menſch geblieben, des Kindes wegen, ich hätte<lb/>
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            <p> <lb/>mein halbes Leben gegeben, um das Kind lebend<lb/>zu wiſſen – ſie hat es verkauft! – Sie hat ſich<lb/>für das Blut- und Sündengeld Putz und Tand<lb/>gekauft! – Laßt mich hinein, ich will ihn ſehen,<lb/>meinen Joſeph, ich will ihn ſehen!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Warte noch,“ ſagte der Baron, „Du wirſt<lb/>ihn erſchrecken, und Du begreifſt, er muß noch<lb/>ſehr ſchwach ſein und Ruhe haben.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Es iſt ſo!“ – ſagte der Mann nachgebend,<lb/>„o, Herr Baron, mein Kind modert nicht in der<lb/>Kirchhofsecke zu Teplitz – ſeht, als ich ihm die<lb/>Kleider abriß, draußen auf dem Eiſe, und ſah<lb/>das Zeichen an ſeiner Schulter – wie ein Kreuz<lb/>iſt es – da –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Herr,“ entgegnete der Bauer, „Ihr kennt<lb/>das Sprichwort in unſerer Familie! – Der Doc-<lb/>tor ſagte mir, nach dem Tode meiner Frau, das<lb/>Kind könne nicht groß werden, ich dachte die<lb/>„Ehr' und Art von Tangen“ zu retten, „reiſte<lb/>
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            <p> <lb/>mit der Haustante und dem faſt ſterbenden Kinde<lb/>weit, weit weg in ein Bad, und als mein kleiner<lb/>Evert geſtorben war, da kaufte ich das Kind einer<lb/>Komödiantin! Ich denke, es wird mir Niemand<lb/>wehren, dieſes Kind als das meinige anzunehmen!“<lb/>ſchloß er dann in ſeiner alten Art, ſich den an-<lb/>deren Bauern zuwendend.<lb/>
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            <p> <lb/>Wiebrink verſetzte Twicker einen bedeutungs-<lb/>vollen Rippenſtoß und der Letztere ſagte dann:<lb/>„O doch, die Vormünder Deiner Töchter werden<lb/>Dir das wehren, falls Du ihn in den Rechten<lb/>eines Sohnes laſſen wirſt.“<lb/>
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            <p> <lb/>Tangen ſtützte die Ellbogen auf den Tiſch und<lb/>barg das Geſicht in ſeine Hände.<lb/>
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            <p> <lb/>Nach dem „Amen“ ſagte Tangen raſch: „Am<lb/>Montag kommt der Advocat, da könnt Ihr Alles<lb/>feſtſtellen!“ ſein Auge ſuchte dann zagend den<lb/>Baron, aber derſelbe war bereits fortgegangen.<lb/>
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            <p> <lb/>Das Dorf war an dieſem Sonnabend und<lb/>am nächſten Sonntage in ſo ſichtbarer Auf-<lb/>
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            <p> <lb/>regung, daß Niemand zweifelte, es würde etwas<lb/>Niedageweſenes ſich ereignen; man ging von ei-<lb/>nem Hauſe in's andere, man ſtand ganz roth und<lb/>blau vor Kälte auf der Straße zuſammen: „Der<lb/>Student wird ihn todt machen!“ ſagten die Furcht-<lb/>ſamen. – „Nein, der Bauer von Tangen wird<lb/>in's Gefängniß kommen!“ riefen Andere. „Der<lb/>Herr von Dalbrook wird die hochmüthigen Mäd-<lb/>chen laufen laſſen!“ prophezeite ein altes Weib. –<lb/>„Es ſollte mich nicht wundern, wenn der Student<lb/>ihm ſein neues Haus anſteckte!“ vermuthete der<lb/>Nachtwächter – kurz, das ruhige Dorf war ganz ſo<lb/>ſkandalſüchtig, als es nur immer eine Provinzial-<lb/>ſtadt zweiten Ranges ſein kann; nur die Großen<lb/>waren nirgends zu erblicken, bis es am Sonntag<lb/>Zeit zur Kirche war, und ſie unter den neugie-<lb/>rigen Blicken der Gemeinde in ihre mit dem Fa-<lb/>milienzeichen geſchmückten Kirchſtühle gingen. Nie<lb/>war es voller bei Rolf Poppe als an dieſem<lb/>Nachmittag; der Tiſch der Großen blieb zwar<lb/>lange unbeſetzt, doch endlich erſchien der Student,<lb/>beſtellte mit überlauter Stimme eine Flaſche Roth-<lb/>wein und ſetzte ſich geräuſchvoll auf den Platz, den<lb/>Hermanton von Tangen ſonſt inne hatte. Nicht<lb/>lange, ſo drängten ſich alle Naſenſpitzen gegen die<lb/>
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            <p> <lb/>Scheibe des Fenſters – der Bauer von Tangen<lb/>kam langſam die Straße daher, nicht eben mit<lb/>ſeinem wohlhabenden, jovialen Sonntagsgeſicht,<lb/>nein, man ſah ſeinem Gange den Zwang an, der<lb/>ihn weiter trieb: Was hätten die Leute gedacht,<lb/>wenn er heute nicht in’s Wirthshaus gekommen<lb/>wäre, hätte das nicht wie Furcht ausgeſehen?<lb/>
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            <p> <lb/>„Komm her, Bauer,“ rief ihm der Student<lb/>entgegen, ſowie ſich die Thür öffnete, „hierher,<lb/>wir wollen zuſammen Eins auf das Wohlergehen<lb/>meines Jungen trinken – ich zahle heute!“ –<lb/>und er warf eine Handvoll Thaler auf den Tiſch,<lb/>daß es klirrte.<lb/>
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            <p> <lb/>Tangen folgte gezwungen der Einladung, das<lb/>Glas mochte ihm ein Wermuthbecher ſcheinen –<lb/>vergebens hoffte er, bei jedem Oeffnen der Thür<lb/>ſeine Freunde und Standesgenoſſen zu erblicken<lb/>– umſonſt, das Unglaubliche – Unmögliche war<lb/>eingetroffen, der Bauer von Tangen war gleich-<lb/>ſam in den Bann gethan, Niemand geſellte ſich zu<lb/>ihm, als ein grober, verſoffener Bettler, und der<lb/>Student ließ heute ſeinem böſen Geiſte die Zügel<lb/>ſchießen; er trank, prahlte, lärmte, ſchalt –<lb/>das Geſicht des Bauern ſchien in jeder Viertel-<lb/>ſtunde bleicher und ſpitzer zu werden, aber der<lb/>
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            <p> <lb/>Student ließ ihn nicht gehen, er hielt ihn mit<lb/>allen möglichen Redensarten zurück. Rolf Poppe<lb/>hielt den Augenblick für den richtigen, ſich bei dem<lb/>Bauern in Gunſt zu ſetzen und ſich an dem Stu-<lb/>denten dafür zu rächen, daß er Hoffnungen in dem<lb/>jungen Gaſtwirth erregt hatte, die nicht in Er-<lb/>füllung gingen; er trat an den Tiſch und ſagte:<lb/>„Student, Du ſollſt zum Baron kommen, er iſt<lb/>in der Paſtorat!“<lb/>
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            <p> <lb/>Tangen athmete auf: „Sieh, warum tobſt Du<lb/>denn wie ein Menſch ohne Verſtand?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Der Baron ſagte“ – fuhr der Student<lb/>fort – „ich müſſe Zeugen und Beweiſe haben,<lb/>um ihn zurück zu fordern – und Euer Geld, das<lb/>Ihr mir gabt, wäre eben ſo gut unrecht Geld, als<lb/>das, welches ſie, die Elende! nahm – da habt<lb/>Ihr Euer Geld zurück, der Paſtor hat Recht, Ihr<lb/>müßt Eure Angelegenheit mit Gott und den Vor-<lb/>mündern in Ordnung bringen – ich habe keine<lb/>Beweiſe“<lb/>
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            <p> <lb/>Damit legte er an dreißig Thaler auf den<lb/>Tiſch und die Leute drängten ſich heran, Tangen<lb/>ſtand gleichſam in friſcher Verſilberung vor ihnen<lb/>da: „Ja, ja,“ ſagten die Bauern, „was der Herr<lb/>ſagt, das hat immer ſeine Richtigkeit!“ – es ſollte<lb/>in dieſen Worten eine Art Rechtfertigung für<lb/>Tangen liegen, aber wenn er bedachte, was er<lb/>tauſend Mal an dieſer Stelle über den Baron ge-<lb/>ſagt hatte, da war es eine tiefe Beſchämung,<lb/>wenn ihn jetzt der alte Herr fallen ließ – wer<lb/>ſtreckte die Hand aus, ihn auf ſeine vorige Höhe<lb/>zurück zu heben? Indeß ſchob er das Geld dem<lb/>
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            <p> <lb/>Studenten wieder zurück. – Die beiden treuloſen<lb/>Großen beſchäftigten ſich auch eben mit dem Baron,<lb/>ſie waren zuſammen gekommen, um zu berath-<lb/>ſchlagen, wie ſie ſich zu verhalten hätten.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich mag mit ſolchen heimlichen Angelegen-<lb/>heiten nichts zu thun haben!“ ſagte Twicker, auf<lb/>Evert’s Unterſchiebung deutend.<lb/>
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            <p> <lb/>„Wenn es gut abläuft,“ bemerkte Wiebrink,<lb/>„weshalb ſollten wir uns mit ihm verfeinden?<lb/>Nur bin ich nicht ſicher, ob wir zur Verſchreibung,<lb/>wo wir als Vormünder ſein müſſen, gehen –<lb/>mir ſchwant, der von Dalbrook kömmt gar nicht!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Er iſt von der alten Sorte, er hält ſteif auf<lb/>ſein Wort!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, aber er hat noch kein Wort gegeben, ich<lb/>warte, bis er auf dem Tangenhof iſt und gehe<lb/>nicht eher.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Wenn ich gehen will,“ verſicherte Twicker ge-<lb/>laſſen, „ſo gehe ich auf die rechte Zeit, einerlei,<lb/>wer noch kommt – Du weißt, ich bin auch von<lb/>der alten Sorte!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Zum Teufel mit Deiner alten Sorte, iſt<lb/>Deine Art älter, als mein Stamm ?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Das nicht, aber Du biſt neumod'ſcher, wir,<lb/>ich und der Herr, ſind dummer!“<lb/>
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            <p> <lb/>„So ja! na jedenfalls wird ihm Tangen knapp<lb/>genug für Vronke ausſetzen!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Möglich – Tangen hat zähe Hände, wenn's<lb/>nicht für's Großthun und für Maſchinen iſt.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Und wie denkſt Du wegen des Jungen?“ –<lb/>
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            <p> <lb/>„Still, ſtill – ich habe ſo meine Gedanken –<lb/>das alte Sprichwort bringt der Tangen Art unter<lb/>die Erde – reden wir nicht davon.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein, reden wir nicht davon, das mögen An-<lb/>dere ausmachen – nur daß er das Geld der Mäd-<lb/>chen nicht bekommt!“ – fügte Wiebrink lauernd<lb/>hinzu.<lb/>
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            <p> <lb/>„Das bekommt er nicht!“ entgegnete Twicker<lb/>heftig.<lb/>
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            <p> <lb/>Aufrichtig geſagt gingen unſere Großen mit<lb/>wenig Edelmuth gegen ihren Genoſſen zu Werke;<lb/>die ſogenannte Gefühlsbildung nimmt den That-<lb/>ſachen ihren wahren Werth und legt ihnen einen<lb/>ideellen unter, die praktiſche, beſonders die bäuer-<lb/>liche Anſchauung, hat ſelbſt für das Geiſtige nur<lb/>den Maßſtab der Thatſache, ein empfindſamer<lb/>Aufſchwung iſt für ihn eine Verrücktheit. Unſere<lb/>Großen repräſentirten gewiſſermaßen drei verſchie-<lb/>dene Richtungen, die, wie drei Bäume, auf dem-<lb/>ſelben Boden neben einander aufgewachſen waren,<lb/>
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            <p> <lb/>ohne von den eigenen Naturgeſetzen abzuweichen.<lb/>Twicker war, genau genommen, der einzige unver-<lb/>fälſchte Repräſentant des Bauernadels, kaum noch<lb/>ein grüner Baum, aber ein tüchtiger Balken, der<lb/>ſchwer vom Fleck zu bringen war, die Familien-<lb/>Tradition hing ihm gleichſam an den Sohlen und<lb/>er ſteckte bis zur Bewegungsloſigkeit in dem alten,<lb/>roſtigen Cuiraß, in welchem ſeine Vorväter ſich<lb/>einſt munter umher tummelten und den Adel er-<lb/>fochten. Dem Tangen war ſeine Bauernariſtokratie<lb/>direct in den Kopf geſtiegen, er wollte von dem<lb/>Felſen des Feudalismus mit einem Rieſenſprunge<lb/>die Muſterwirthſchaft der dampfkräftigen Neuzeit<lb/>erreichen und ſprang zu kurz! Wenn Twicker treu-<lb/>herzig ſeine Dummheit eingeſtand, man wußte zu-<lb/>gleich, daß er der Aermſte von den Großen war,<lb/>ſo ſtand hinter ihm doch ein ganzer Gewohnheits-<lb/>troß – Tangen war reich, aber der erſte Sturm,<lb/>der über ihn herein brach, verſcheuchte ſeine ſchein-<lb/>baren Anhänger, er war keiner Partei wirklich<lb/>angewachſen und ſtand allein mit ſeinen Halbhei-<lb/>ten. Wiebrink hielt den Bauernadel in derben<lb/>Bauernfäuſten und er lachte auch in dieſe ſeine<lb/>Fäuſte, aber nur heimlich, er verdarb es nicht gern<lb/>mit Jemand, ſein Einfluß war der bedeutendſte,<lb/>
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            <p> <lb/>weil er feſt ſtand, ohne Jemanden heraus zu<lb/>fordern.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Montag, der genau genommen die künftige<lb/>Stellung des Tangenhofes entſcheiden mußte, ſtieg<lb/>freundlich empor und ſpannte ſein azurnes Zelt-<lb/>dach ſorglos aus. Schlag zehn Uhr ſchritt Twicker<lb/>mit ſeiner dampfenden Meerſchaum-Gefährtin vor-<lb/>über – ein Wagen brachte den Advocaten – der<lb/>Student ging friſirt und beſonders nachdenkend<lb/>deſſelben Wegs – Wiebrink lauerte hinter ſeiner<lb/>Stallthür und murmelte: „Narren, die Ihr ſeid –<lb/>er kommt nicht, er hält auf Ehre! –“ Es lag<lb/>in dieſer Vorausſetzung ein Triumph, denn wenn<lb/>Tangen aufhörte der Erſte zu ſein, dann war es<lb/>Wiebrink.<lb/>
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            <p> <lb/>Jetzt rollte ein Wagen über das zerfahrene<lb/>und vom Regen ausgeſpülte Pflaſter des Dorfes<lb/>– das war kein Ackerwagen – wahrlich, es iſt<lb/>die Kutſche von der Burg, die, zwiſchen ihren<lb/>enormen Schwungfedern huldvoll nickend und die<lb/>Zöpfe an ihrem Hinterkopfe wohlgefällig ſchwen-<lb/>kend, daher kommt. Lucas, in ſeiner Livree ſtrah-<lb/>lend, öffnet den Schlag und der Baron ſteigt im<lb/>ſchwarzen Frack mit weißer Halsbinde, wie an<lb/>Königs Geburtstag, aus. Lucas reißt mit einem<lb/>
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            <p> <lb/>boshaften Blick die Hausthür auf, der Baron ver-<lb/>ſchwindet in der Tangenküche.<lb/>
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            <p> <lb/>Mit unglaublicher Schnelligkeit war nun auch<lb/>Wiebrink am Platze und begab ſich zu dem Ad-<lb/>vocaten und den beiden anderen Großen in die<lb/>Viſitenſtube. Das Brautpaar war noch nicht da:<lb/>„Er ſpricht mit ihr!“ erklärte Tangen. Viel<lb/>mußten ſie einander nicht zu ſagen haben, denn<lb/>nach ſechs Minuten führte der alte Herr ſeine<lb/>Auserkorne feierlichſt herein und ſetzte ſich, nach-<lb/>dem ſie Platz genommen, neben ſie.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Rechtsgelehrte nahm zuvörderſt die Pa-<lb/>piere des Barons in Empfang, welche der dem-<lb/>nächſten Frau Baronin ein, für ihre Anſprüche,<lb/>glänzendes Witthum ſicherten, eine Zuſage, die<lb/>ſofort in rechtsgiltiger Form zu Papiere gebracht<lb/>und unterſchrieben wurde.<lb/>
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            <p> <lb/>Die Vormünder nannten dann das mütterliche<lb/>Erbtheil der Braut und legten die gerichtlichen<lb/>Belege über die Verwaltung deſſelben nieder.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Bauer von Tangen ſaß bis jetzt ſtill und<lb/>gedrückt; wenn der Advocat ihn anſah, wechſelte<lb/>er jedes Mal die Farbe, ſein Haar war grauer,<lb/>ſein Geſicht ſpitzer und doch auch zugleich ſchlaffer<lb/>geworden. Der Rechtsgelehrte probirte ſorgſam<lb/>
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            <p> <lb/>ſeine Feder, rückte die Brille und fragte dann:<lb/>„Wie viele Kinder hinterläßt Eure verſtorbene<lb/>Ehefrau, Hermanton von Tangen?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Zwei Töchter,“ war die Antwort.<lb/>
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            <p> <lb/>Veronika fuhr zuſammen, ihr war, als geſchähe<lb/>ein Mord an dem harmloſen, gutherzigen Evert.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Bauer knitterte in einigen Papieren um-<lb/>her, dann nannte er den Werth des Hofes und<lb/>einige andere Beſitzungen und Kapitalien! – ton-<lb/>los, traurig, obwohl es ein ſtattliches Eigenthum<lb/>war.<lb/>
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            <p> <lb/>Zum Erſtaunen Aller fand der Baron einige<lb/>der Angaben zu niedrig, andere Einkünfte ganz<lb/>vergeſſen – kurz, er handelte und forderte für<lb/>ſeine Braut, wie es kaum die Vormünder zu thun<lb/>gewagt hätten, er that das zwar in wenigen, aber<lb/>unabweisbaren Worten: „Ich verlange ihr Recht<lb/>für Veronika,“ ſagte er.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Bauer von Tangen vergaß, daß er ſo ſehr<lb/>gedemüthigt war und fuhr auf: „Herr, ich dachte,<lb/>Ihr hättet keinen Charakter und jetzt dingt Ihr<lb/>wie ein Pferdehändler?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja, Ihr habt das geſagt, wie ich weiß –“<lb/>war die ruhige Entgegnung, „aber ich gehe mei-<lb/>nen Weg und frage nie, was Andere davon denken.“<lb/>
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            <p> <lb/>Veronika war ganz gebeugt vor den vielen<lb/>Zahlen, unter die ſie ihren Namen ſetzen ſollte,<lb/>um ſie als ihr Eigenthum anzuerkennen, als ſie<lb/>mit zitternden Fingern die Feder anſetzte, ſagte<lb/>ihr Vater raſch – und wie unbewußt: „Evert –<lb/>denk' an Evert!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Schreibe, Kind,“ mahnte der Baron – „ei<lb/>Du ſchreibſt eine ſchöne correcte Hand, das haſt<lb/>Du wohl im Kloſter gelernt?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ihr ſpracht ſoeben von Eurem Pflegeſohne,“<lb/>nahm der Freiherr nach einer Pauſe das Wort:<lb/>„Ich habe dem Studenten zugeſagt, ich wollte in<lb/>Euch dringen, Evert's Zukunft zu ſichern.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Er muß ein Handwerk lernen!“ ſagte der<lb/>Advocat, wie um dem Hausherrn das Ausſprechen<lb/>dieſer Idee zu erleichtern.<lb/>
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            <p> <lb/>„Er kann ja Muſikant werden!“ warf Wie-<lb/>brink boshaft hin – „dann kann man Tangen-<lb/>Erben aufſpielen laſſen! –“ Wiebrink machte dieſe<lb/>beleidigende Aeußerung gegen ſeine gewöhnliche<lb/>Vorſicht, weil der Baron ſo hartnäckig gegen ſei-<lb/>nen Schwiegervater vorgeſchritten war, daß er<lb/>darin einen Wink zu erkennen glaubte, Tangen<lb/>ſolle um jeden Preis herabgedrückt werden.<lb/>
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            <p> <lb/>ihn Euren Erben genannt, er iſt unter Eurem<lb/>Namen zur Communion gekommen, nach der Ab-<lb/>findung Eurer Tochter bleibt Euch noch ein gutes<lb/>Beſitzthum, gebt es ihm !“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Advocat und Wiebrink wechſelten, ob<lb/>dieſer etwas verſpäteten Anwandlung von Mit-<lb/>gefühl, einen raſchen Blick.<lb/>
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            <p> <lb/>„Was?“ ſtaunte Twicker, „der Tangenhof ſoll<lb/>an fremdes Blut kommen, als wenn die Peſt Euer<lb/>eigenes getödtet hätte, das hier ſeit dreihundert<lb/>Jahren gedieh? –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Heimlich aber,“ gegenredete Twicker, „unter-<lb/>geſchoben, ausgetauſcht – ein Bettler von der<lb/>Straße – und wir ſollen Den Nachbar nennen<lb/>und ihn betrachten, als wäre er unſer Eins? Ein<lb/>Bauer wird nun und nimmer all' mein Lebtage<lb/>nicht aus ihm, die Bücher und die Viole – das<lb/>iſt Alles.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Bauer,“ ſagte der Baron, „legen wir zuſam-<lb/>men ! Ihr gebt ihm Euren Namen und bleibt ſein<lb/>guter Pflegevater, meine Braut und ich geben ihm<lb/>Dasjenige, was uns von dem Tangenhofe zuſteht;<lb/>
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            <p> <lb/>ich verwalte das Kapital mit den Vormündern, bis<lb/>er großjährig wird – Adelheid erhält den Tangen-<lb/>hof und Eberhard ſtudirt ſeine Bücher und geht<lb/>dann auf die Univerſität, damit er eine Stellung<lb/>in der Welt einnehme, die des Namens von Tan-<lb/>gen würdig iſt!“<lb/>
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            <p> <lb/>Eine Pauſe – Veronika ſchluchzte bewegt!<lb/>Zwei ſchwielige und eine geſchontere Männerfauſt<lb/>ſtreckten ſich dem Baron entgegen und ſchüttelten<lb/>ſeine hageren Finger; er ſah die Männer mit jenem<lb/>ſtaunenden, energieloſen Blick an, der allerdings<lb/>nicht eben auf Ueberlegenheit ſchließen ließ. Der<lb/>Advocat rieb eifrig ſeine Brille, er ſchüttelte den<lb/>Kopf und rieb wieder: „Warum weinen Sie?“<lb/>fragte er verſtohlen nach Vronke hinüber, ſein<lb/>Advocatenherz war doch bereit an ein Bedauern<lb/>ihrerſeits zu glauben.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich bin ſo vergnügt!“ ſchluchzte Veronika,<lb/>denn der Emsländer nennt ſeine Zufriedenheit<lb/>„mein Vergnügen!“<lb/>
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            <p> <lb/>Vronke eilte in die Küche und umarmte Evert,<lb/>dann faßte ſie die Hand ihrer ernſthaft daſtehenden<lb/>Schweſter und zog dieſelbe auf die Aufkammer:<lb/>„Aleid,“ ſagte ſie, ihr bewegtes Geſicht in die<lb/>Hände verbergend, „kannſt Du es mir vergeben,<lb/>daß ich Dir einen ſo guten, feſten Mann geraubt<lb/>habe? – O glaub' es mir; ich wußte nicht<lb/>wie gut er war, ſonſt wäre das nicht geſchehen!<lb/>ſag' mir nun, Aleid, willſt Du ihn – Rolf meine<lb/>ich, willſt Du ihn noch? Unſer guter Herr kann<lb/>Alles, was er will, ich habe es geſehen – er ſoll<lb/>es ſo machen, daß Vater nicht böſe iſt, wenn Rolf<lb/>Poppe um Dich frägt !“<lb/>
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            <p> <lb/>Die Schweſter drückte ihre Stirn an die ge-<lb/>frorne Fenſterſcheibe und während Vronke in ihrer<lb/>Kiſte – dem Aufbewahrungsort der emsländiſchen<lb/>Frau für ihre Kleider – umher kramte, entgegnete<lb/>ſie mit kurzem, trocknen Ton: „Rolf Poppe war<lb/>falſch gegen mich – natürlich, ſein Vater machte<lb/>auch einen falſchen Bankrott – ſo was erbt<lb/>weiter!“<lb/>
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            <p> <lb/>Dich geweſen! Du biſt ſo eigen, Kind, daß man<lb/>nicht weiß, wie man Dir Gutes oder Böſes an-<lb/>thut. Soll er für ſeinen Vater büßen?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Er? – ihm geht es gut!“ rief Aleid bitter<lb/>– „aber ich! – Nein, nein, rede nicht mehr von<lb/>ihm, mag die rechte Tangen-Art lieber ausſterben,<lb/>als daß es heißt: „Einer, der dazu gehört, ſaß<lb/>auch im Loche, Arbeitshaus, ſagen die Hoch-<lb/>deutſchen, wegen Betrügerei – weshalb ziehſt<lb/>Du Dich an, Vronke?“<lb/>
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            <p> <lb/>ſoll er nicht werden! – und ich alter Sünder<lb/>möchte ſeinetwegen ein geachteter Mann ſein,<lb/>aber –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Dieſer Menſch muß aber ſehr zuverläſſig<lb/>ſein und nüchtern, damit ich ihm ſpäter die Förſter-<lb/>ſtelle geben kann – meine Leute ſind alle uralt.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Gut iſt er wie ein Kind,“ murmelte Tangen,<lb/>„aber Charakter hat er nicht, wie kann er den<lb/>zum Verwalter machen?“<lb/>
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            <p> <lb/>Der alte Lucas hatte ſchon ſehr den Kopf ge-<lb/>ſchüttelt, als der Baron Mamſell Brunnel zu ihrer<lb/>Schweſter ſchickte, nun eben zwei vornehme Damen<lb/>in der Burg erwartet wurden; noch nachdenklicher<lb/>und verſtimmter machte es ihn, daß Evert ganz<lb/>
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            <p> <lb/>ſtrahlend herzuſprang und rief: „Der Student<lb/>wird Verwalter bei Euch oben, und ich komme<lb/>Neujahr auf's Gymnaſium – Lucas, wie ſchön<lb/>das iſt! –“ Evert ſchien wie aus einem Banne<lb/>herausgetreten.<lb/>
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            <p> <lb/>Der Beſuch, den man auf der Burg erwartete,<lb/>war niemand anderes als Roland's Braut und<lb/>ein ältliches Fräulein von Schlump, die man in<lb/>der Familie nicht ſehr liebte, aber für ſehr ge-<lb/>ſcheidt hielt. Natürlich war dieſer Beſuch eine Folge<lb/>der rothgeſiegelten Briefe, welche eine allgemeine<lb/>Entrüſtung in der Vetterſchaft hervorriefen, man<lb/>hätte den Onkel längſt unter Curatel ſtellen<lb/>müſſen, obwohl man ſolche Tollheiten, wie die<lb/>Heirath mit einer Bäuerin doch nicht einmal von<lb/>ihm erwartet hatte! Roland ward etwas betreten<lb/>bei dem Gedanken, eben ſeine Aeußerungen könn-<lb/>ten dieſen Entſchluß bei dem Oheim gereift haben,<lb/>er ſann auf Mittel, auf eine Möglichkeit, dieſes<lb/>Heirathsproject rückgängig zu machen und da mit<lb/>Gewalt nichts zu thun war, konnte vielleicht Liſt<lb/>und der Einfluß der beiden geſcheidten und hoch-<lb/>gebildeten Damen etwas erreichen. Fräulein von<lb/>Schlump und Fräulein von Platter kannten ihre<lb/>Aufgabe und dachten im Stillen, es könne nicht<lb/>
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            <p> <lb/>ſo ſchwer ſein, ein einfaches Bauermädchen zu<lb/>verdrängen. Gegen ihr Erwarten wurden die<lb/>beiden Damen von dem Onkel auf's Artigſte<lb/>empfangen, der einfältige Alte hatte richtig keine<lb/>Ahnung von ihren Motiven und ſchien den Be-<lb/>ſuch ſehr in der Ordnung zu finden.<lb/>
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            <p> <lb/>Neben dem würdigen Herrn auf der Freitreppe<lb/>ſtanden zwei hohe, blonde Frauengeſtalten mit<lb/>einer gewiſſen plaſtiſchen Unerſchütterlichkeit, die<lb/>dem kleinen, zierlichen Fräulein Georgine von<lb/>Platter und der Tante als Braut und Schwägerin<lb/>genannt wurden. Georgine wollte ſich dem Oheim<lb/>um jeden Preis angenehm machen, ſie hüpfte alſo<lb/>gleich auf die Mädchen zu und überſchüttete ſie<lb/>mit vielen Fragen und Verſicherungen. Die Tan-<lb/>gens ſprachen jetzt hochdeutſch, nicht gerade mit<lb/>leichter Zunge, aber doch mit ruhiger Sicherheit,<lb/>ſie führten die Damen in die wohl durchwärmten<lb/>Gaſtzimmer und dann hinunter an den Theetiſch,<lb/>wo Veronika die Wirthin machte und ihre Schwe-<lb/>ſter ihr geräuſchlos zur Hand ging. Der alte Ba-<lb/>ron zeigte wieder ein ungeheuer verwundertes Ge-<lb/>ſicht, als ſich Alles ſo ordnete, als könnte es gar<lb/>nicht anders ſein – Lucas ging ab und zu; wenn<lb/>auch ein ſehr ungewandter Diener, hatte er doch<lb/>
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            <p> <lb/>immerhin Bedientenſchlauheit genug, allmählich zu<lb/>ahnen, weshalb Mamſell Brunnel verreiſen mußte.<lb/>„Ich wollte, ſie käme gar nicht wieder –“ ſagte<lb/>er – „die würde jetzt ein Geſchrei und Geſchnat-<lb/>ter gemacht haben, nun geht auch Alles in Ruhe<lb/>gut!“ —<lb/>
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            <p> <lb/>Veronika beſaß den Geiſt ſtetiger Thätigkeit;<lb/>da nun Jeder dann am ſchönſten iſt, wenn er dem<lb/>innerſten Zuge ſeines Gemüthes folgen kann, ſo<lb/>nahm ſie ſich als Wirthin und im Gefühle der<lb/>ihr anvertrauten Stellung beinah anmuthig aus,<lb/>wenn eine ſo kräftige Geſtalt und ſo ruhige Be-<lb/>wegungen überhaupt Anſpruch auf dieſe Beziehung<lb/>machen dürfen. Aleid, deren Temperament ſie im-<lb/>mer wechſelnd machte, war befangener, zugleich<lb/>aber auch mißtrauiſcher, denn ſie ahnte die Ab-<lb/>ſichtlichkeit dieſes Beſuches, ſie ſaß der Braut eines<lb/>Mannes gegenüber, der ihr vor Allen gehäſſig war.<lb/>
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            <p> <lb/>Als die beiden fremden Damen ſich Abends in<lb/>ihre altväteriſchen Himmelbetten niederlegten, ſagte<lb/>Roſalie von Schlump verdrießlich: „Ich weiß<lb/>nicht, wo Roland ſeine Augen gehabt hat, das<lb/>Alles iſt eine längſt von den beiden Mädchen ab-<lb/>gekartete Geſchichte, ſie benehmen ſich, als dächten<lb/>ſie nicht daran, jemals in anderen Zimmern, als<lb/>
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            <p> <lb/>mit Gobelin-Tapeten zu wohnen – mit der jün-<lb/>gern wäre wohl am erſten etwas anzufangen, ſie<lb/>ſcheint reizbar und ſtolz, ein wenig angeregt möchte<lb/>ſie uns eine Handhabe für unſere Zwecke geben!<lb/>Leider iſt die alte Brunnel, auf die man ſich ver-<lb/>laſſen konnte, nicht da, und Lucas iſt eben ſolch'<lb/>ein Klotz wie ſein Herr – er merkt wahrhaftig<lb/>nichts.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Es wäre wohl am beſten, Tante Röschen, ich<lb/>ſchlöſſe mit der Adelheid Freundſchaft und ver-<lb/>traute ihr Dies und Jenes an, dann wird ſie ge-<lb/>ſchmeichelt ſein und kirre werden – armer Ro-<lb/>land, er meinte es ſo gut!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Mit wem?“ fragte Tante Röschen ſcharf.<lb/>„Doch wohl nur mit ſich ſelbſt!“<lb/>
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            <p> <lb/>Georgine erröthete: – „Ach, er liebt mich<lb/>ſo ſehr.“<lb/>
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            <p> <lb/>Am nächſten Morgen nach dem Frühſtück ent-<lb/>führte Roſalie den Baron in ſeine Oekonomie-<lb/>gebäude. Veronika beſchäftigte ſich in den Haus-<lb/>haltsräumen und die beiden jungen Mädchen,<lb/>Aleid und Georgine, ſaßen am Kamin, Aleid ruhig<lb/>und gerade, Georgine im großen Seſſel ſich bald<lb/>ſo, bald anders anlehnend.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich bin recht begierig, Ihr Vaterhaus zu<lb/>
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            <p> <lb/>ſehen,“ ſagte Georgine, „denken Sie, Adelheid,<lb/>ich mache mir gar keinen Begriff von ſo einem<lb/>Bauernhof, wir Töchter des alten Adels werden<lb/>immer ſo abgeſchloſſen erzogen.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Hat denn ihr Vater keine Güter?“<lb/>
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            <p> <lb/>Georgine erröthete. „Nein, er iſt in Staats-<lb/>dienſten, aber die Familie iſt ſchon ſeit mehr denn<lb/>zweihundert Jahren eine der erſten des Landes!“<lb/>
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            <p> <lb/>„So, zweihundert Jahre? Als der Tangenhof<lb/>vor dreihundertundzweiundzwanzig Jahren gegrün-<lb/>det wurde und belehnt, da waren die von Tangens<lb/>ſchon von Adel.“<lb/>
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            <p> <lb/>Georgine biß ſich auf die Lippen, Aleid legte,<lb/>ohne ſie zu beachten, ein Scheit Holz auf die<lb/>Kohlen; ſie hatte nicht mit dem Stolze wie früher<lb/>dieſen Sieg errungen für ihren Baueradel, denn<lb/>was ihr Haupt hob, machte ihr Herz heimlich blu-<lb/>ten. Sie ſchwieg oder dachte ſchweigend mit jenem<lb/>Gleichmuth, den nur in Norddeutſchland und dort<lb/>nur der Bauer in Geſellſchaft eines andern be-<lb/>haupten kann.<lb/>
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            <p> <lb/>„Sie kennen meinen Verlobten?“ fragte Geor-<lb/>gine mit einem Ausdruck von Schwärmerei.<lb/>
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            <p> <lb/>„Ja!“ ſtieß Aleid hart hervor.<lb/>
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            <p> <lb/>Alles, Alles, er hat mir verſprochen, mir täglich<lb/>zu ſchreiben, er liebt mich ſo ſehr! – er war auf<lb/>dem Tangenhof, er ſah Sie dort und beſchrieb<lb/>Sie ſo hübſch – ich wurde ganz eiferſüchtig,<lb/>Aleid.“<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid richtete ſich ſtraff empor und ſah ſie ver-<lb/>ächtlich an: „Keine Urſache, Fräulein – ich danke<lb/>für ihn – ſparen Sie ſich die Mühe!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Um's Himmels Willen, Aleid, Sie ſind ſo<lb/>heftig, daß Sie mich förmlich entſetzen! – Aleid,<lb/>ich flehe Sie an –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Das iſt nicht nöthig, ich wollte es Ihnen<lb/>doch ſchon ſagen, denn ich halte es für Recht, daß<lb/>Sie ihn kennen, ehe es zu ſpät iſt, ich halte ihn<lb/>für ſchlecht und untreu !“ – Nun folgte die Dar-<lb/>ſtellung deſſen, was geſchehen war, Aleid's lang<lb/>unterdrückte Erregung machte ſich in ziemlich un-<lb/>gekünſtelten Darſtellungen Luft – Georgine fing<lb/>an zu weinen. Das Vertrauen der Bäuerin hatte<lb/>ſie ſich anders gedacht.<lb/>
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            <p> <lb/>„Aber das iſt doch nicht ſo etwas gar Entſetz-<lb/>liches!“ ſagte endlich Georgine, die gleichfalls ſchon<lb/>vor dieſer Auseinanderſetzung gereizt war – „Sie<lb/>faſſen das ſo auf wie Jemand, der die Welt<lb/>nicht kennt !“ –<lb/>
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            <p> <lb/>„So? Nun, dann danke ich für dieſe Welt<lb/>und wünſche Ihnen viel Glück mit Ihrem unge-<lb/>treuen Erbſchleicher.“ – Aleid ging trotzig und<lb/>Georgine legte ſich weinend zu Bett!<lb/>
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            <p> <lb/>Die Kopfſchmerzen der jungen Dame ſchienen<lb/>den Baron nicht ſehr zu ſtören, ſelbſt als Veronika<lb/>ihm zagend die Veranlaſſung mittheilte, ſagte er<lb/>nur: „Beunruhige Dich nicht, mein Kind, morgen<lb/>iſt ſie geſund und freundlich – die haben gute<lb/>Naturen ! –“<lb/>
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            <p> <lb/>So kam es auch, Roſalie hatte nämlich beſſere<lb/>Geſchäfte gemacht als Georgine, ſie hatte Jemand<lb/>gefunden, dem ſie die Verhältniſſe des Tangen-<lb/>hofes und Aleid's ſtille Neigung zu Rolf glück-<lb/>lich abgefragt hatte – eigentlich gelang es durch<lb/>Vermittlung eines harten Thalers, der alle Dorf-<lb/>geheimniſſe flüſſig machte – und ſo erhob ſich<lb/>Georgine mit dem tröſtlichen Bewußtſein, daß<lb/>auch ſie Aleid verwunden könne, nicht mit groben<lb/>Keulenſchlägen, wie es die Bäuerin gethan, nein<lb/>mit Nadelſtichen, wie von feinen engliſchen Näh-<lb/>nadeln.<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid war in ihrer Art zuvorkommend, ſie hatte<lb/>ihr Müthchen gekühlt und machte ſich, in Folge<lb/>der Ermahnung ihrer Schweſter, Vorwürfe –<lb/>
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            <p> <lb/>doch dieſe nicht laut ! – das Gaſtrecht verletzt zu<lb/>haben, überhaupt war das zarte Stadtdämchen<lb/>eine kaum würdige Gegnerin. Das kleine Inter-<lb/>mezzo führte die Mädchen förmlich zuſammen, und<lb/>da das Wetter nun viel milder war, ohne daß<lb/>doch der Froſt gewichen wäre, machten ſie ſtets<lb/>ihre ländlichen Excurſionen zuſammen. Georgine<lb/>wagte ihre Kränkungen nicht recht anzubringen,<lb/>Aleid imponirte ihr, jedes Entgegenkommen der<lb/>Bäuerin ſchmeichelte ihr im Geheimen mehr, als<lb/>ſie es ſich zu geſtehen wagte.<lb/>
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            <p> <lb/>Eines Tags – die beiden Mädchen wandelten<lb/>zwiſchen den Taxushecken – glaubte Georgine den<lb/>Augenblick der Rache heran gekommen, ſie ſeufzte,<lb/>fragte ſich und den Himmel, was ihr Roland jetzt<lb/>treibe und wandte ſich dann an Aleid! „Ich glaube,<lb/>Sie haben wenig Gefühl, Aleid, würden Sie wohl<lb/>einen Mann unter Ihrem Stande nehmen, wenn<lb/>Sie ihn liebten, oder gilt Ihnen der Stand<lb/>mehr?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Stand iſt nichts, Ehre iſt Alles!“ ſagte Aleid<lb/>in ihrer kurzen Manier, „das habe ich gelernt,<lb/>denn ich kenne einen ſehr vornehmen Mann, für<lb/>den ich mich zu gut halte ſeinen Namen in den<lb/>Mund zu nehmen.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Freilich,“ lachte Georgine, „der Name Poppe<lb/>klingt beſſer!“<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid's Augen flammten: „Möglich, daß die,<lb/>welche ihn tragen, ihn wieder rein waſchen!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Rolf Poppe! –“ war die zögernde Antwort.<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid erbleichte: „Gut, er ſoll hierher kommen<lb/>– frag' nicht, Vronke – er ſoll es! –“ Die<lb/>Schweſter ging traurig in die Burg zurück.<lb/>
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            <p> <lb/>„Fräulein,“ ſagte Aleid, indem ſie ihr Ant-<lb/>litz zu einem ruhig ſtarren Ausdruck zwang, „ſtel-<lb/>len Sie ſich hinter die Hecke, Sie können hören,<lb/>was ich mit Rolf Poppe zu reden habe!“<lb/>
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            <p> <lb/>Georgine ſchlüpfte, mit einem gewiſſen Grauen<lb/>vor der Veränderung in den Zügen der Bäuerin<lb/>und der Erwartung eines Bauernidylls, hinter<lb/>den mächtigen Taxus-Pfau und die Couliſſe, die<lb/>ihn trug. Sie ſah Rolf Poppe daher kommen<lb/>und mußte ſich geſtehen, Aleid's Geſchmack ſei kein<lb/>ſchlechter.<lb/>
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            <p> <lb/>„Nicht einerlei,“ ſprach Aleid ſanft und offen-<lb/>bar die Lauſcherin vergeſſend – „was mich freut,<lb/>freute mich Deinetwegen, Rolf, was mich traurig<lb/>machte, war Trauer um Dich!“<lb/>
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            <p> <lb/>trotzig, „es braucht Niemand für mich zu reden,<lb/>ich ſpreche ſelbſt, was geſagt werden muß! Auch<lb/>eilt es nicht damit, Rolf, Du mußt erſt Deinen<lb/>Namen zu gutem Klang bringen, daß die Bauern<lb/>wiſſen: An den Poppe's iſt kein ſchlechtes Haar!<lb/>Wir müſſen noch eine lange, lange Probe machen,<lb/>damit ich weiß, Du wirſt keinem Mädchen Dinge<lb/>vorreden, die Du nur Deiner Braut ſagen kannſt,<lb/>Rolf, heute über zehn Jahre iſt unſer Hochzeits-<lb/>tag! –“ Sie athmete tief – es war geſprochen.<lb/>
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            <p> <lb/>„Das iſt meine Liebe, Rolf Poppe, ich will<lb/>meine Jugendjahre leben, wie in einem Kloſter,<lb/>Deinetwegen! Ich will gegen meinen Vater ſein,<lb/>Deinetwegen! – Ich will gegen mich ſelbſt ſein,<lb/>Rolf, denn ich möchte Dir beſſere Dinge verſpre-<lb/>chen – aber eine Tangen-Tochter kann nicht an-<lb/>ders! Bitte mich nicht, Rolf, ſag' nur, ob Du es<lb/>annimmſt!“<lb/>
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            <p> <lb/>für die Aſſecuranz ſelbſt ein – und nun bin ich<lb/>ein Bettler – wenn nicht –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Wenn nicht? –“ wiederholte Aleid mit lal-<lb/>lender Zunge und ſank gegen die Taxushecke<lb/>„– wenn nicht? –“ ihre Kniee trugen ſie nicht<lb/>mehr, die Zweige gaben nach und ſie ſchlug zu<lb/>Boden.<lb/>
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            <p> <lb/>„Mein Gott, Aleid, was iſt Dir? –“ rief<lb/>Rolf Poppe.<lb/>
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            <p> <lb/>Aleid lachte kurz und irre. Georgine ſtand<lb/>bereits an ihrer Seite und ſuchte ſie zu ſtützen:<lb/>„Wenn nicht? –“ rief noch einmal das unglück-<lb/>liche Mädchen – „mein Geld und ich – laſſen<lb/>Sie mich, Fräulein, ich hoffe, mir iſt etwas da<lb/>im Kopfe zerſprungen, daß ich ſterben muß –<lb/>mein Geld und ich –“ wiederholte Aleid, ſich<lb/>aufrichtend, ſie ſaß auf dem gefrorenen Graſe der<lb/>Allee – „wenn nicht mein Geld und ich die Be-<lb/>trügerei der Poppe's zudecken, aber ſie ſollen mich<lb/>lieber in die Erde legen – ſo ! – ich bin fer-<lb/>tig! –“ Ihr Kopf ſank ſchwer an Georginens<lb/>Bruſt, die Rolf Poppe anflehte Hülfe zu holen,<lb/>was er, ganz verwirrt wie er es war, denn auch<lb/>that. Indeß Aleid erwachte nach einigen Minuten<lb/>von ſelbſt, nachdem ſie ſich ein wenig beſonnen,<lb/>
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            <p> <lb/>umfaßte ſie plötzlich Georginens zierliche Geſtalt,<lb/>zog ſie an ihre Bruſt, küßte leidenſchaftlich ihre<lb/>Lippen und rief: „Laß von ihm! Laß von ihm,<lb/>er zieht Dich in's Verderben! Laß von dem Erb-<lb/>ſchleicher! –“ Georgine weinte, ſie war bis in's<lb/>Herz erſchüttert und führte Aleid zu Haus: „Bring'<lb/>mich zu Bett,“ ſagte Aleid, die Dame duzend –<lb/>„ich fühl' es wohl, es war zu viel, mir geht im<lb/>Kopfe Alles durcheinander, aber denk' an mich:<lb/>Laß von ihm! laß von ihm!“<lb/>
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            <p> <lb/>Das waren ihre letzten klaren Ideen, ſchon<lb/>ſelben Abends lag Aleid im heftigen Fieber und<lb/>Georgine ſaß liebevoll mit Vronke an ihrem Bett,<lb/>die Pflege theilend und die Phantaſien belauſchend,<lb/>die nur unterbrochen wurden, als der Bauer<lb/>von Tangen – jetzt ein gebeugter Greis, dem<lb/>die Kleider um ſeine ehemals ſo behäbige Geſtalt<lb/>ſchlotterten! – eintrat und Aleid anredete: „Va-<lb/>ter, Vater,“ rief die Kranke heftig, „Du wollteſt<lb/>die Ehre mit der Unehre kaufen – de Ehr un<lb/>Art von Tangen –“<lb/>
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            <p> <lb/>Sie faßte an die Stirn, fand das Ende des<lb/>Spruches aber nicht und begann ihn immer von<lb/>Neuem. Der Bauer hielt ſich zitternd am Bett-<lb/>pfoſten feſt, in Georginens Augen traten Thränen,<lb/>
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            <p> <lb/>ſie gedachte ihres eigenen, ehrenfeſten, geliebten<lb/>Vaters, deſſen Theuerſtes ſie war, es zuckte ihr<lb/>durch die Seele, wie er, der heitere, ſtattliche<lb/>Mann, ſo unſäglich unglücklich ſein würde, wenn<lb/>er je einen Flecken auf Roland's Charakter ge-<lb/>wahren müßte – ſie erinnerte ſich, daß ihr Va-<lb/>ter eigentlich nie Sympathien für Roland gehabt<lb/>hatte und daß der letztere ſich Vater und Tochter<lb/>anfangs abſichtlich wohlhabender erſcheinen ließ,<lb/>als es wirklich war – wie fielen ihr alle dieſe<lb/>Dinge, die ſie früher nie klar erblickt hatte, ſo<lb/>plötzlich ein? Das kam, weil ihr Blick nicht, wie<lb/>in der großen Welt, auf künſtliche Verhältniſſe,<lb/>gemachte Anſprüche – Masken und Larven fiel,<lb/>und weil nun ſtatt derſelben kräftige Naturen<lb/>offen und unverſchleiert vor ihr da ſtanden und<lb/>ſie den ſchmerzhaften Läuterungsproceß derſelben<lb/>mit anſah! Ihr war Stand immer als ein Vorrecht<lb/>erſchienen, Aleid verſtand darunter: „Unverbrüch-<lb/>liche Ehre!“ – und Ehre war ihr Wahrheit! –<lb/>Aleid kam ihr groß vor, ſie war das Opfer ihrer<lb/>rechtſchaffenen Standesvorurtheile, denen ſie jede<lb/>Selbſtſucht unterordnete – mit dieſem Mädchen<lb/>hatte Roland, wie mit einer Kammerkatze, tändeln<lb/>wollen, Aleid hatte ihr, der Hochgebildeten, das<lb/>
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            <p> <lb/>geſagt mit der ganzen Verachtung, welche ſolch' ein<lb/>Mädchen dieſer Erniedrigung folgen laſſen mußte,<lb/>– und Roland's Braut – hatte ihn entſchuldigt!<lb/>nicht nur äußerlich, nein auch im Herzen hatte<lb/>ſie gedacht, „ſo Etwas komme wohl vor!“ nichts<lb/>hatte ſich in ihr verletzt gefühlt als nur ihre Ei-<lb/>telkeit. Von Aleid's ſchrecklicher Kataſtrophe mit<lb/>Rolf Poppe aus war vor Georginen's Augen ein<lb/>Gewebe von Gedanken und Combinationen, wie<lb/>durch einen Blitzſtrahl erleuchtet, welche ſie ſelbſt<lb/>nie in ſich geſucht hatte, das verhätſchelte Welt-<lb/>kind, das bisher auf den glatten Wogen der Ge-<lb/>ſelligkeit ſanft durch's Leben ſchaukelte, ſtand vor<lb/>der großen, himmelan ragenden Frage: „Was iſt<lb/>Wahrheit? Wo liegt die Wahrheit?“ – Geor-<lb/>gine wollte einen Theil der Nacht bei der Kran-<lb/>ken wachen, trotz Roſaliens Entrüſtung über dieſe<lb/>kindiſche Laune – aber Georgine ſetzte es durch,<lb/>nicht nur weil ſie ein geheimnißvoller Zug an<lb/>Aleid feſſelte, ſondern weil ſie mit ſich ſelbſt,<lb/>mit ihren Gedanken fertig werden mußte. Die<lb/>Kranke war ruhiger nach den Mitteln, die ihr<lb/>Abends der Arzt gereicht hatte, es blieb der jungen<lb/>Dame volle Zeit mit ſich ins Reine zu kommen.<lb/>– hätte ſie Aleid fragen können! Aber Aleid<lb/>
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            <p> <lb/>handelte ja nicht nach durchdachten Theorien, ſie<lb/>handelte nach dem innern Geiſt, der mit dem Ver-<lb/>ſtande nichts gemein hat! Die Pflegerin litt mehr<lb/>als die Kranke, ihr kleines Geſicht ward ganz fieber-<lb/>haft und als die Uhr zwei geſchlagen hatte, öffnete<lb/>ſie die Thür des Nebenzimmers, wo ſich Vronke<lb/>zur Ruhe gelegt hatte, um ſie abzulöſen – aber<lb/>ſie ſchlief nicht, ſie lag auf den Knieen und betete.<lb/>Georgine ſah in dieſer Stellung den Ausdruck der<lb/>Verzweiflung und flüſterte traurig: „Ach, Vero-<lb/>nika – wir können nichts thun!“<lb/>
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            <p> <lb/>Die Andere ſchlug ihre blauen, gottgefaßten<lb/>Augen zu ihr auf und ſagte: „Nein, wir können<lb/>nichts thun, als auf Den vertrauen, der Alles<lb/>thun kann !“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich bin Proteſtantin,“ nahm Georgine zögernd<lb/>das Wort, „wollen Sie mir das Buch leihen,<lb/>aus dem Sie eben beteten? ich möchte es kennen<lb/>lernen.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Sehr gern – aber bitte, gehen Sie jetzt zur<lb/>Ruh’ – Ihr Schutzengel wache über Sie!“<lb/>
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            <p> <lb/>Georgine ging – aber ſie ſchlief noch lange<lb/>nicht, ſie las die ernſten, granitnen Worte des<lb/>Thomas von Kempen, die ihre Gedanken-Fluth<lb/>wie mit einer unzerbrechlichen Mauer eindämmte.<lb/>
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            <p> <lb/>Roſalie erklärte dem Freiherrn nächſten Tags,<lb/>ſie müſſe abreiſen, was Georginens Mitgehen zu<lb/>bedingen ſchien, um ſo mehr, als ſie beängſtigend<lb/>blaß ausſah; während aber nun Roſalie übel-<lb/>launig ihre Sachen packte, ſchlich ſich Georgine in<lb/>das Wohnzimmer hinunter, wo ſie den Baron mit<lb/>ſeinen Hunden wie ſtets um dieſe Stunde fand.<lb/>Sie reichte ihm herzlich die Hand und ſetzte ſich<lb/>kindlich vertrauend neben ihn: „Onkel,“ ſagte ſie,<lb/>„wiſſen Sie, weshalb wir gekommen ſind, Tante<lb/>Röschen und ich?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ich glaube es zu wiſſen, mein Kind!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Ach – und Sie zürnen uns nicht, daß wir<lb/>Ihnen ein Mädchen wie Veronika rauben woll-<lb/>ten?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nein, meine Liebe, der Baum zürnt auch dem<lb/>Winde nicht, wenn er feſt ſteht und vom Luftzug<lb/>umſpielt iſt.“<lb/>
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            <p> <lb/>„O, lieber Onkel, ich wußte nicht wie ſchlecht<lb/>ich war, aber, bei Gott, jetzt ſehe ich's ein und es<lb/>thut mir von Herzen leid. Onkel, wollen Sie<lb/>mir eine Frage aufrichtig beantworten?“<lb/>
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            <p> <lb/>Georginens Hände faßten zitternd und er-<lb/>kaltend die langen Finger des Barons.<lb/>
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            <p> <lb/>„Liebes Kind, ich habe nie anders als aufrich-<lb/>tig eine Frage beantwortet.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Halten Sie Roland für einen ganz und gar<lb/>ehrenhaften Mann? –“ ihre Augen wurden groß,<lb/>ihre Hände ſchloſſen ſich krampfhaft.<lb/>
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            <p> <lb/>„Hm, ſo?“ machte der Baron und ſtrich mit<lb/>der freien Hand mitleidig über ihren Scheitel:<lb/>„Das iſt eine böſe Frage, mein Kind, ſo viel<lb/>Seelenſtärke hätte ich nicht von Ihnen erwartet.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Onkel, Onkel, wie Sie mich quälen – bitte,<lb/>eine Antwort!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Nun denn – nein! Roland hat gefährliche<lb/>Schwächen, er hat keine edle Denkungsweiſe: –“<lb/>Der Baron hatte das Köpfchen Georginens an<lb/>ſeine Schulter gezogen und küßte, dieſes Mal ganz<lb/>ſicher und väterlich, ihre Stirn, Georgine ſchlang<lb/>ihre Arme um ihn und flüſterte mit ſchwerem<lb/>Athem: „Nicht wahr, Onkel, ich kann hier bleiben,<lb/>bei Ihnen und den Mädchen, bis mich Papa ab-<lb/>holt, wenn – wenn ich mich erſt an den Ge-<lb/>danken gewöhnt habe! –“<lb/>
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            <p> <lb/>„Gern, mein Kind es wird uns eine rechte<lb/>Freude ſein, aber nicht krank werden – nicht krank<lb/>werden, ſondern die Kranke pflegen und erheitern!“<lb/>
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            <p> <lb/>Die Thür öffnete ſich und Roſalie ſtand ſprach-<lb/>
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            <p> <lb/>los in derſelben, ſie ſah den Baron verwundert<lb/>an und dieſer betrachtete ſie wiederum mit ſeinen<lb/>weit offenen, erſtaunten, zerſtreuten Augen: „Ja,<lb/>Couſine Roſalie, das iſt ein Ereigniß, die arme<lb/>Kleine hat den Roland aufgegeben und ſie bleibt<lb/>unter meinem Schutze, bis ihr Herr Vater ſie<lb/>abholt!“<lb/>
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            <p> <lb/>„O, Du nichtswürdiger Heuchler –“ rief Ro-<lb/>ſalie außer ſich – „alſo das iſt Deine Rache an<lb/>dem armen Roland, weil er Deinen Geiz und den<lb/>Skandal mit Deiner Heirath tadelte! –“<lb/>
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            <p> <lb/>„So,“ ſtaunte der Onkel, „hat er meine Hei-<lb/>rath getadelt?“<lb/>
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            <p> <lb/>„Freilich, wie wir Alle! nun willſt Du ihm<lb/>auch ſein Herz brechen und ſeine Carrière ver-<lb/>derben. Georginens Vater iſt ſein Vorgeſetzter<lb/>und –“<lb/>
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            <p> <lb/>Der Baron hatte das weinende Mädchen in<lb/>einen Seſſel gedrückt, ſtand jetzt neben Roſalie,<lb/>legte ihre Hand auf ſeinen Arm und führte die<lb/>Widerſtrebende hinaus, bis vor ihr Zimmer: „In<lb/>einer halben Stunde wird mein Wagen Dich er-<lb/>warten ! –“ ſagte er ruhig und geleitete, zurück-<lb/>kehrend, Georginen in das Krankenzimmer zu<lb/>Veronika.<lb/>
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            <p> <lb/>So ſcheiterte Tante Röschen's Miſſion, die be-<lb/>tretene Verwandtſchaft und der erſchreckte Roland<lb/>hofften indeß, Georgine, die eine verwöhnte Phan-<lb/>taſtin ſei, werde es nicht lange in Dalbrook aus-<lb/>halten und allmählich ſelbſt zur beſſern Einſicht<lb/>kommen – Roland's Briefe kamen aber uneröff-<lb/>net zurück, begleitet von einem Schreiben des<lb/>Oheims, das ihn, in denſelben Worten beinah',<lb/>von dem in Kenntniß ſetzte, was er zu ſeinem<lb/>Leidweſen bereits wußte. Georgine langweilte<lb/>ſich nicht, ſie lernte im Gegentheil ein ſüßes Be-<lb/>wußtſein kennen, das ihr bis dahin fremd war –<lb/>das Bewußtſein, ſich nützlich zu machen! – Sie<lb/>war der Augapfel und Mittelpunkt der Burg, die<lb/>langſam geneſende Kranke war ihre intimſte Freun-<lb/>din geworden, hatte ſie von Aleid und Veronika<lb/>gelernt, ſo lernten dieſe jetzt wieder von ihr. Als<lb/>Herr von Platter kam, ſeine Tochter zu ſehen,<lb/>wünſchte Georgine dringend für's Erſte da zu<lb/>bleiben – und ſie blieb! –<lb/>
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            <p> <lb/>Man ſagt: Alle ſieben Jahr erneuert ſich der<lb/>menſchliche Körper, oder beſſer: In dieſem Zeit-<lb/>raum geſtaltet er ſich neu! – Wenn wir, ſieben<lb/>Jahre nach Veronika Tangen’s Heirath, die mit<lb/>Rolf Poppe's Flucht nach Amerika zuſammen fiel,<lb/>
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            <p> <lb/>unſere drei Großen anſehen, ſo müſſen wir frei-<lb/>lich bekennen, die Erneuerung war keineswegs eine<lb/>Verſchönerung, doch ſahen ſie im Ganzen zufrieden<lb/>aus, wie ſie Sonntags mit einander am Herren-<lb/>Tiſch ſaßen. Sie hatten nun ſchon ſeit Jahren ein<lb/>Spiel, das Dreie ſpielen konnten und ihre leichten<lb/>Scharmützel hatten nichts zu bedeuten; Tangen<lb/>war „ſeit der Geſchichte“ ſehr ein Anderer, d. h.<lb/>verträglicher, beſcheidener und mehr ein Bauer ge-<lb/>worden. Twicker kam etwas zu ſpät und ſagte,<lb/>ſich entſchuldigend: „Ja, Wiebrink, das iſt ſo eine<lb/>Sache: Deine Lisbeth hat ſoeben den ſechſten Jun-<lb/>gen bekommen – dünkt Dir's nicht etwas reich-<lb/>lich?“ „Zu verhungern brauchen ſie ja nicht“, war<lb/>die Antwort, „und die Twickers waren von jeher<lb/>fleißige Burſchen zur Arbeit!“<lb/>
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            <p> <lb/>„Freilich, freilich!“ entgegnete Twicker ge-<lb/>ſchmeichelt. Tangen vergab die Karten, es ſchnürte<lb/>ihm das Herz zuſammen, an ſein eigenes ſtilles<lb/>Haus zu denken und das Verlöſchen ſeines Stam-<lb/>mes, Aleid war unvermählt und ſeit jener Krank-<lb/>heit hatte ſie ſich doch nie zu ihrer frühern Rüſtig-<lb/>keit erholen können. Indeß gar ſo trübe ſah es<lb/>doch in der Tangenküche nicht aus, die Haustante<lb/>war geſtorben, aber Aleid verſtand Alles eben ſo<lb/>
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            <p> <lb/>gut und hielt auf die netteſte Ordnung, die Roſen<lb/>blühten jeden Sommer ſo ſchön in ihrem Gärtchen<lb/>und ſie hatte auch einige zwiſchen die Hecken in<lb/>den Ziergarten von Dalbrook verpflanzt, beſon-<lb/>ders ſchön blühten ſie neben dem Taxushecken-<lb/>Pfau.<lb/>
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            <p> <lb/>In der Tangenküche ſaßen drei Perſonen, eine<lb/>Frau und zwei Männer, die Frau war Aleid –<lb/>ihr Geſicht war zarter, klarer, ruhiger geworden,<lb/>aber man ſah es dieſem Munde an – er lächelte<lb/>nur ſelten und dann nicht heiter. Ihr gegenüber<lb/>ſaß eine gerade Figur mit ſchlicht gekämmten, kur-<lb/>zen Haaren, einem langen gewirbelten Schnauz-<lb/>bart und würdiger Haltung, bekleidet mit einer<lb/>gut gehaltenen Förſteruniform – es war der ge-<lb/>weſene Student, der, ein gemachter und geachteter<lb/>Mann, ſeinem ſchwarzköpfigen Jungen gegenüber<lb/>ſaß und mit freudeleuchtenden Blicken der Schilde-<lb/>rung einer Ferienreiſe lauſchte, welche derſelbe ſo-<lb/>eben beendet hatte. Der Junge war nämlich jetzt<lb/>ein langer und mit den beſten Zeugniſſen aus-<lb/>gerüſteter Studioſus der Rechtswiſſenſchaft, Aleid's<lb/>größte Herzensfreude und des Bauern größter Stolz<lb/>– das waren ſtets Feſttage, wo Eberhard von Tan-<lb/>gen auf dem Tangenhofe weilte; er ließ, wenn er<lb/>
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            <p> <lb/>ging, immer für Aleid Bücher zurück, und ſie ſtu-<lb/>dirte in aller Stille Dies und Jenes, was ihrem<lb/>Geiſte eine glückliche Nahrung und Beſchäftigung<lb/>gewährte.<lb/>
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            <p> <lb/>Gehen wir weiter nach Dalbrook, ſo hat ſich<lb/>der Freiherr dort in der That verjüngt, er und<lb/>ſeine liebevolle und rüſtig heitere Lebensgefährtin<lb/>haben einen ſtattlichen Enbonpoint gewonnen; die<lb/>Meubeln ſtehen freilich noch alle auf demſelben<lb/>Fleck, aber ſie ſcheinen jetzt mit einer gewiſſen<lb/>innern Befriedigung und Zierlichkeit dazu ſtehen<lb/>und nie fehlt der Blumenſchmuck von Topf- oder<lb/>Gartengewächſen – das iſt Veronika's Liebhaberei.<lb/>
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            <p> <lb/>Sie iſt nicht eigentlich eine Dame geworden,<lb/>aber ſie fällt neben Damen keineswegs auf, denn<lb/>ſie erhält ſich in einer gediegenen Einfachheit, die<lb/>genug, aber nie zu viel thut.<lb/>
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            <p> <lb/>Es iſt ein Gaſt auf Dalbrook. Nach und nach<lb/>– war es aus Neugier, oder weil man wirklich<lb/>den Oheim beſſer begriff? – zogen die Vettern<lb/>der Familie Schlump wieder auf die Burg, mach-<lb/>ten Jagden und Schiffpartien, fiſchten, ritten und<lb/>ließen ſich's wohl ſein ! Nur der einſt von Ro-<lb/>land angeklagte Lehnserbe war bisher nicht ge-<lb/>kommen – heute hatte er ſich eingeſtellt.<lb/>
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            <p> <lb/>„Aufrichtig geſtanden, Onkel,“ ſagte er, „habe<lb/>ich bis jetzt nur das Leben genoſſen und ſelten an<lb/>Dalbrook gedacht, allmählich amüſirte mich aber<lb/>das Umhertreiben nicht mehr, ich ging in mich<lb/>und in die Reſidenz, mich unter den Töchtern des<lb/>Landes umzuſehen – mir eine zu ſuchen, die den<lb/>Wandervogel ſtabil machen könne.“<lb/>
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            <p> <lb/>„Richtig fand ich denn auch eine, und die ließ<lb/>mir keine Ruhe, ich ſollte zu meinem braven alten<lb/>Oheim gehen, ihren Gruß bringen und die Sache<lb/>anzeigen – Onkelchen, ſie iſt nicht jung, nicht<lb/>hübſch mehr – und nicht reich –“<lb/>
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            <p> <lb/>ſah den Kern unſerer Landeskraft, den rechtſchaffe-<lb/>nen Land- und Bauernadel! O, wenn doch alle<lb/>thörichten Weltkinder ſich einmal ernſthaft ſo die<lb/>althergebrachten Verhältniſſe beſchauen wollten –<lb/>ſie müßten doch zur Einſicht kommen!“<lb/>
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